ANALYSE. FPÖ-Chef Kickl bekennt sich gerne zu Medienfreiheit und EU, liefert jedoch glatte Widersprüche dazu. Der ÖVP mag es egal sein, für Van der Bellen wird es jedoch zu einem Problem.
Zu politischer Kommunikation gehört es immer wieder, bestimmt zu wirken, aber unbestimmt zu sein. Beispiel: Der geschäftsführende ÖVP-Obmann Christian Stocker verlangt von FPÖ-Chef Herbert Kickl ein „klares Bekenntnis“ zu Medienfreiheit und EU. Doch was heißt das? Kickl liefert beides gerne, an einen „Öxit“ denke niemand in seiner Partei, sagt er und Medienfreiheit sei doch selbstverständlich.
Ob sich Stocker damit zufriedengeben wird, ist nicht sicher, aber möglich: Zu Kritikern könnte er sagen, er habe erfolgreich Druck auf Kickl ausgeübt. Womit er bei einigen vielleicht auch durchkommen würde.
Verhängnisvollerweise. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Zumutung: Wenn Kickl von Medienfreiheit spricht, dann meint er, dass auch sogenannte alternative Medien, also etwa Fake-News-Schleudern, ungehindert tätig sein sollen, ja mit Steuergeldern gefördert werden sollen. Es wäre ein Beitrag zur Zerstörung des öffentlichen Diskurses.
Insofern wird eine allfällige Präambel für ein allfälliges Regierungsprogramm wertlos sein. Wesentlich wird unter anderem sein, was im Kleingedruckten steht und geplant ist. Stand heute kann man sich ausschließlich daran orientieren, was zum Beispiel im freiheitlichen Wahlprogramm enthalten ist und was insbesondere Kickl so von sich gibt.
Diesbezüglich hat er gerade eine rote Linie überschritten. Gemeint ist eine Linie in Bezug auf die EU, von der hier vor wenigen Tagen schon einmal die Rede war: Sofern sich Stocker und die ÖVP nicht daran stoßen, wird es zu einem Problem von Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Am 6. Jänner hat er Kickl den Regierungsbildungsauftrag gegeben. In einer Rede hat er unmittelbar danach berichtet, was er mit diesem besprochen habe. Unter anderem die Freiheit der Medien in Österreich sowie „die konstruktive Stärkung der europäischen Zusammenarbeit in der Union“. Nachsatz: „Herr Kickl traut sich zu, hier im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden – und er will diese Verantwortung. Ich habe ihn das explizit gefragt.“
Heute muss man davon ausgehen, dass ihm Kickl einfach nur gesagt hat, was er hören wollte. Nicht nur in Bezug auf die Medienfreiheit, sondern auch in Bezug auf „die konstruktive Stärkung der europäischen Zusammenarbeit in der Union“: Am vergangenen Wochenende hat er das glatte Gegenteil davon angekündigt: „Österreich wird künftig keine weiteren Kompetenzerweiterungen der EU mehr unterstützen und sich aktiv für die Rücknahme bereits erfolgter Fehlentscheidungen, wie der Schuldenunion, einsetzen.“
Nicht mehr EU also, sondern weniger. Keine Stärkung der Zusammenarbeit, sondern eine Schwächung, ein Rückbau.
Der ÖVP kann das wie gesagt egal sein. Sie ist schon im Liegen umgefallen. Aber für Van der Bellen entwickelt sich das zu einem umso größeren Problem: Dass eine blau-schwarze Koalition mit Mehrheit auf parlamentarischer Ebene zustande kommen könnte, über die er sich nicht hinwegsetzen kann, ist das eine. Dass er sich ihr nicht beugen kann, wenn er und eine breitere Öffentlichkeit so schamlos belogen werden, wenn sich also keine Pro-, sondern eine Anti-EU-Politik anbahnt, wie sie in Zeiten existenzieller Bedrohungen mehr denn je notwendig wäre, das andere.
Was kann der Bundespräsident tun? Er könnte eine Angelobung von Kickl verweigern. Begründung: Er, Van der Bellen, ist direkt und mit absoluter Mehrheit gewählt bzw. legitimiert worden, nicht zuzulassen, was der FPÖ-Chef vorhat. Ist es vorstellbar, dass er so weit geht? Schwer. Tut er es nicht, hat er jedoch ein ähnlich großes Glaubwürdigkeitsproblem wie die ÖVP, die lange eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschloss und heute doch auf dem Weg dazu ist.