ANALYSE. Der Rechtsruck, der von Niederösterreich ausgeht, ist auch so bedrohlich, weil Sozialdemokraten nach wie vor und Grüne mehr und mehr unfähig wären, eine erfolgversprechende Wahlkampagne zu schlagen.
Aufgrund eines Proporzsystems, aber doch, waren die Tiroler vor 29 Jahren die ersten Grünen, die auf Landesebene zu einer Regierungsbeteiligung kamen. Später, nachdem der Proporz gefallen war, klappte es auch so. Im vergangenen Herbst war jedoch Schluss. Und jetzt ist der Wurm drinnen: Auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag erhielt Klubobmann Gebi Mair gerade einmal 67,6 Prozent bei der Wahl zum neuen Landessprecher. Gegenkandidaten hatten es keinen gegeben.
Was ist passiert? Unter anderem dies: Die Grünen haben sich in der Regierungsbeteiligung an der Seite der ÖVP abgenützt. Vieles von dem, was sie einst ausgemacht hat, zum Beispiel Leidenschaft, erlosch. Beziehungsweise war nicht mehr sichtbar. An der Seite einer strukturkonservativen Großpartei konnten sie zu wenig liefern, was potenzielle AnhängerInnen überzeugte.
Das ist auf Bundesebene nicht viel anders. Sozialminister Johannes Rauch hat das auf dem Landesparteitag in Tirol de facto bestätigt: Er sprach sich dafür aus, die Regierungspolitik der Partei offensiver nach außen zu tragen. Man müsse deutlicher machen, wofür man stehe und kämpfe. Umgekehrt sei es nötig, klarzumachen, wo und warum die ÖVP auf der Bremse stehe.
Da hat sich in der Tat einiges aufgestaut: Klimaschutz ist mit der Volkspartei nicht mehr zu machen, wie Bundeskanzler Karl Nehammer in seiner „Rede zur Zukunft der Nation“ deutlich machte. Korruptionsbekämpfung sowieso nicht. Nicht einmal Informationsfreiheit, die diesen Namen verdienen würde, geht. Schlimmer für die Grünen: Das war nicht alles. Aus Niederösterreich zieht in der ÖVP ein reaktionärer Geist auf sowie das deutliche Signal, das man sich für den Machterhalt auch mit Rechtsextremen ins Bett legt.
Das geht für die Grünen gar nicht mehr. Sie sind aber noch damit beschäftigt, sich das alles schönzureden. Vizekanzler Werner Kogler und Klubobfrau Sigrid Maurer stehen dafür. Das ist selbstgefährdend: Wenn aus irgendeinem Grund morgen gewählt wird, werden die Grünen eher noch keine starke Kraft sein, die einen Teil der Menschen aufsammelt, die ein Zeichen gegen diesen Rechtsruck setzen wollen.
Ebenfalls einen Teil dieser Menschen könnte die SPÖ aufsammeln. Theoretisch. In den kommenden zwei, drei Monaten wird sie jedoch mit sich selbst beschäftigt sein. Bisher vertrieb sie damit WählerInnen. Es ist möglich, aber nicht sicher, dass sich das jetzt ändert.
Problem: Die Freiheitlichen liegen schon bei rund 30 Prozent, obwohl sie so radikal sind und Leute wie Herbert Kickl, Udo Landbauer und Gottfried Waldhäusl in ihren Reihen haben. Man muss also davon ausgehen, dass es nicht mehr reicht, sie abzulehnen und eine Zusammenarbeit mit ihnen auszuschließen, wie es besonders Pamela Rendi-Wagner derzeit tut, um sich gegen Hans Peter Doskozil durchzusetzen.
Nötig ist mehr. Aber das ist nichts Neues: Als es 2016, 2017 eine deutliche Mehrheit rechts der Mitte gab, entwickelte Christian Kern an der SPÖ-Spitze trotzdem ein neues Programm, das auch die Partei selbst attraktiver und zumindest für Angehörige einer breiteren Mitte wählbar machen sollte. Ein bisschen ist es gelungen. Bei der damaligen Nationalratswahl hat die Partei minimal gewonnen und nicht verloren, wie sie es 2019 getan hat. Genau eine solche Initiative werden Rendi-Wagner oder Doskozil ebenfalls erst setzen müssen: Damit geht ein Zeitfenster gegen die Sozialdemokratie einher: Im Moment ist sie blank.
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