Licht- und Schattenkanzler

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ANALYSE. Karl Nehammer versucht gleich einmal, nicht als Getriebener zu wirken: Also verkündet er „vorab“ ein Ende des Lockdowns für Geimpfte. In der Sache ändert das jedoch wenig.

In den vergangenen Tagen und Wochen ist der Eindruck entstanden, Coronapolitik werde von Landeshauptleuten im Allgemeinen und dem sozialdemokratischen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig im Besonderen gemacht. Oder – für die öffentliche Wahrnehmung – mehr schlecht als recht vom ressortzuständigen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Genau so hätte es auch weitergehen sollen: Ehe am (morgigen) Mittwoch mit den Länderfürsten allfällige Lockerungen nach dem 12. Dezember diskutiert werden sollten, wollte Ludwig vorab die Regelungen für Wien kundtun. Auf dass er wieder einmal der Erste und Einzige ist, der entschlossen wirkt.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat das durchkreuzt: Er ging voraus und verkündete am Dienstag das Ende des Lockdowns für Geimpfte und Genesene. Zumindest für sie und zumindest außerhalb von Wien und Oberösterreich werden Handel und Gastronomie am 13. Dezember öffnen können. (In OÖ dauert der generelle Lockdown länger, in Wien geht’s erst ab 20. Dezember ins Wirtshaus.) Zu regeln sind nur noch die Modalitäten, sprich „Schutzmaßnahmen“, so Nehammer.

Damit hat er einen Punkt gemacht. Oder besser gesagt einen Punkt aufgeholt. Er lässt sich nicht anmerken, wie bescheiden seine Rolle ist. Und das ist schon viel für ihn: Wichtiger als das, was ist, ist das, was empfunden wird. Zumindest für einen Politiker. Sebastian Kurz hat’s vorgemacht.

Hier geht es jedoch darum, zu schreiben, was ist: Nachdem der Kanzler angelobt ist und alle wesentlichen Personalentscheidungen in seinem Umfeld getroffen sind, kann man eine erste Zwischenbilanz ziehen. Bekanntes Ergebnis: In Wirklichkeit bestimmend sind die Landeshauptleute, Nehammer kann sich allenfalls nur arrangieren mit ihnen. Außerdem ist er abhängig von den Grünen. Sie können ihn jederzeit fallen lassen.

Was beides relativiert, ist jedoch dies: In der ÖVP müssen sie froh sein, wenn jetzt einfach nur Ruhe einkehrt und Nehammer nicht negativ auffällt. Gelingt es ihm, die Partei in Umfragen auf Höhe der SPÖ zu halten, ist man hochzufrieden mit ihm. Schafft er es, sie wieder auf Platz eins zu führen (und sei es nur mit 25 Prozent), ist er der „Hero“. Die Grünen sind wiederum an einer möglichst langen Fortsetzung der Zusammenarbeit interessiert. Nur das garantiert ihnen, in der Regierung bleiben zu können. Soll heißen: Von ihnen ist nichts zu befürchten.

Wenn man von einem Schattenkanzler – zum Beispiel der Landeshauptleute – spricht, muss man also differenzieren. Es ist mit Einschränkungen wie den erwähnten zutreffend. Nehammer weiß das und versucht ganz offensichtlich, den Spielraum vom ersten vollen Amtstag an maximal auszunützen.

Umso bemerkenswerter ist, welche Signale er mit getroffenen wie nicht getroffenen Personalentscheidungen aussendet: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, Außenminister Alexander Schallenberg, Familienministerin Susanne Raab oder etwa die designierte ÖVP-Generalsekreätrin Laura Sachslehner stehen für Sebastian Kurz und sonst wenig bis gar nichts. Nicht so sehr, dass Nehammer diesen und daher auch seine engsten Leute ganz und gar vergessen machen müsste. Im Vordergrund stehen zwei, drei andere Dinge: Es geht um zweifelsfreie Loyalitätsverhältnisse; um ein echtes Neustartsignal; und um die Verkörperung eines Politikertyps, der – wie die angeführten – weniger Eigenständigkeit als vollkommene Ergebenheit gegenüber einem Chef darstellt.

Nachdem der ÖVP-Vorstand Karl Nehammer am vergangenen Freitag als neuen Bundesparteiobmann vorgeschlagen hatte, betonte er, dass die Statuten unverändert bleiben. Das bedeutet, dass er die Möglichkeit gehabt hätte, alle schwarz-türkisen Regierungsmitglieder auszutauschen, wie es ihm gefällt. Das Ergebnis zeigt, wie wenig Veränderung er haben möchte und auch durchsetzen mag. Der einzige Minister, der gehen musste, war der parteifreie und im besten Sinne des Wortes eigenwillige Bildungsminister Heinz Faßmann.

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