Geschichte, aber nur wie sie gefällt

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ANALYSE. Das Dollfuß-Museum ruft in Erinnerung, wie zweifelhaft der Umgang mit der Vergangenheit ist. Auch die selbstverständlichsten Bekenntnisse werden so wenig überzeugend.

Der Schriftsteller Ludwig Laher berichtet in der Tageszeitung „Der Standard“ von einem Besuch des „Dr.-Engelbert-Dollfuß-Museum“ im niederösterreichischen Texing: „Ich hatte andernorts schon viel Skurriles, ja Absurdes gesehen, auch Schlitzohriges und Faktenwidriges, um die oft groteske Vermarktung der Berühmtheit zu rechtfertigen.“ Aber so etwas: Gleich über der Eingangstür habe er auf einer Tafel folgendes gelesen: „Geburtshaus des großen Bundeskanzlers und Erneuerers Österreichs Dr. Engelbert Dollfuß“. Im Inneren sei „zertifizierte Grabeserde“ in einem Kistchen ausgestellt gewesen (Aufschrift: „Österreichische Erde, die den größten Sohn des Vaterlandes barg“); oder eine „Erinnerung an den 70. Todestag von Märtyrerkanzler“ Dollfuß 2004 und vieles andere mehr. Kurz: Man kann darauf schließen, dass es sich um eine Pilgerstätte zur Verehrung eines Mannes handelt, der einigen offenbar noch immer als ganz Großer gilt.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kann wiederum unterstellt werden, das alles zumindest geduldet zu haben. Seit 1995 im Gemeinderat und ab 2015 Bürgermeister im kleinen Texing, ist ihm dieses Museum genau so, wie es ist, bekannt gewesen. Laut Mostviertel-Website wird es zu wenigen Ausflugszielen in der Gegend gezählt. Man ist stolz drauf.

Allgemein bekannt geworden ist die Pilgerstätte durch die Bestellung Karners zum Mitglied der Regierung Karl Nehammer (ÖVP). Das ist ein Glück im Unglück. Sonst wäre es wohl nicht einmal zu dieser Konsequenz gekommen: Karner ließ über einen Sprecher wissen, längst den Auftrag erteilt zu haben, die Ausstellung anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Gemeinde 2022 zu überarbeiten. Das Gute daran: Prozess und Ergebnis werden nun überregional unter Beobachtung stehen. Das ist eine Garantie dafür, dass eine nüchterne Auseinandersetzung mit dem Austrofaschisten herauskommen wird oder das Museum verschwindet.

Dieser Text hätte fast den Titel „Geschichtsvergessen“ getragen. Das wäre jedoch daneben: Das Dollfuß-Museum hält Geschichte in einem propagandistischen Sinne wach und pflegt sie.

Das ist umso bedenklicher, als es daneben ebenso viel Schweigen gibt. Die ÖVP-Akademie hat für Funktionäre gerade eine aktualisierte, 144 Seiten umfassende Dokumentation über ihre Werte und Grundsätze herausgegeben. Darin geht es ausdrücklich auch darum, woher man komme. Engelbert Dollfuß, den die Partei in ihrem Parlamentsklub bis vor wenigen Jahren durch ein Porträt würdige, kommt nicht direkt vor. Mit keiner Silbe. Nur indirekt und beiläufig: In einem Beitrag über Leopold Kunschak, Bundesobmann 1945, heißt es, dieser sei als überzeugter Demokrat ein Gegner der Heimwehrbewegung gewesen und „der autoritären Politik von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß distanziert“ gegenübergestanden. Immerhin, kann man sagen. Doch was es mit dieser Politik auf sich hatte, wird nicht ausgeführt.

Bei einem solche Umgang mit Geschichte werden „klare Bekenntnisse zum demokratischen Rechtsstaat und gegen Nationalsozialismus, Antisemitismus, Faschismus und jeglichen Extremismus“, wie sie nun auch ein Sprecher von Karner für diesen verlautbarte, alles andere als das, was sie sein sollten: selbstverständlich und vor allem von festen Überzeugungen getragen.

Man stellt sich der eigenen Vergangenheit nicht umfassend; und wenn, dann nur widerwillig. Das ist ein Problem, das sämtliche Parteien betrifft, die es Mitte des 20. Jahrhunderts schon gegeben hat. Nach unzähligen, sogenannten „Einzelfällen“ ließ der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache einr Historikerkommission die Geschichte der Freiheitlichen beleuchten. Herausgekommen ist aber eher nur eine Dokumentation, die noch dazu an einem Tag vor Weihnachten 2019 präsentiert wurde; so, dass man es zwar erledigt hat, aber von niemandem wahrgenommen wird.

In der SPÖ hat der unlängst verstorbene Ex-Innenminister Caspar Einem in den 2000er Jahren für eine Aufarbeitung „brauner Flecken“ im „Bund Sozialdemokratischer AkadmikerInnen“ gesorgt; also der NS-Vergangenheit zahlreicher Mitglieder. Dazu war „Mut“ notwendig, wie BSA-Präsident Andreas Mailath-Pokorny in einem Nachruf vor drei Monaten gestand. Soll heißen: Caspar Einem musste Anfeindungen riskieren. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Fall des Nationalsozialismus. Andere lassen es unter solchen Umständen lieber ganz sein.

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