Kurz ungeniert

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ANALYSE. Die einstweilige Verfügung, die die SPÖ gegen den ÖVP-Chef erwirkt hat, ist blamabel für diesen. Bedauern wird er sie aber kaum. Im Gegenteil.

Dass es eines ehemaligen und wohl auch künftigen Regierungschefs unwürdig ist, unbelegte Behauptungen in den Raum zu stellen, die einen politischen Mitbewerber belasten, ist wohl unbestritten. Ein passendes Wort dafür verwendet Sebastian Kurz selbst immer wieder, auch wenn er es etwas anders einsetzt; das ist einfach nur Anpatzen. Konkret: Wie Freiheitliche interessiert den ÖVP-Chef weniger der Inhalt des Ibiza-Videos, sondern mehr, wer dahinter stehen könnte. Gleich einmal nach der Veröffentlichung fühlte er sich bemüßigt, den ehemaligen SPÖ-Berater Tal Silberstein ins Spiel zu bringen. Belege: keine. Jetzt ortete er eine Spur zu einem Anwalt, der Sozialdemokraten nahe stehe. Belege: keine. Umso größer kann die Genugtuung für die SPÖ sein, eine einstweilige Verfügung erwirkt zu haben, die Kurz diese Behauptungen zu ihrem Schaden untersagt.

Diese einstweilige Verfügung ist auch sehr blamabel für ihn. Bedauern wird er sie allerdings kaum. Im Gegenteil. Was liegt, das pickt. Anders ausgedrückt: Es ist bei einer entscheidenden Masse angekommen, wie er das sieht. Und darum geht es: Enttäuschte FPÖ-Anhänger, die er für einen Wahlsieg im September braucht, haben von ihm die Heinz-Christian-Strache-ist-bei-alledem-nur-Opfer-These bestätigt bekommen. Und gegenüber den Sozialdemokraten hat Kurz noch mehr verbrannte Erde geschaffen. War die gegenseitige Abneigung, ja Verachtung schon bisher beträchtlich, so ist sie nun nur noch größer geworden.

Womit wir bei einem entscheidenden Punkt wären: Kurz steht und fällt mit der Polarisierung, die er pflegt. Nach dem Misstrauensvotum einer Mehrheit des Nationalrats gegen ihn hat er gleich ausdrücklich davon gesprochen, dass Hass im Spiel gewesen sei. Sprich: Er hat seine Abwahl auf die niedrigste Motivlage gedrückt, die möglich ist. Das war eine unmissverständliche Botschaft an seine Anhänger; sie sollten wissen, mit wem sie es zu tun haben.

Die Aufstellung ist relativ einfach: Kurz befindet sich auf der einen Seite des Spielfeldes nicht mehr ganz so geschlossen wie bisher, aber noch immer mit Freiheitlichen. Und auf der anderen Seite befindet sich der große Gegner, die Sozialdemokraten – oder, wie man in bürgerlichen Kreisen abwertend zu sagen pflegt, die Sozialisten.

Diese Konstellation braucht Kurz für seinen politischen Erfolg. In ihr kommt etwas zum Ausdruck, was mitte-rechts extrem tief sitzt und in der alltäglichen Debatte immer wieder zum Ausdruck kommt: Sozialdemokraten sind schlecht, alles andere ist besser. Und überhaupt: Verantwortlich für die Staatsschulden sind kein bisschen die ÖVP-Finanzminister, die bis zuletzt seit bald 20 Jahren am Ruder waren, sondern ausschließlich Sozialdemokraten. Dass die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger doch keine Patientenmilliarde bringt, wie von ÖVP und FPÖ behauptet, ist kein Problem; entscheidend ist, dass die roten Gewerkschafter aus den Führungsetagen fliegen. Und so weiter und so fort.

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