Kurz und Kahr

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ANALYSE. Politik unterlässt es mehr denn je, sich um bestmögliche Entwicklungen für alle zu kümmern. Das erklärt den Erfolg der Grazer Kommunisten, er beruht auf diesem Versagen.

„Dass die Kommunisten in Österreich eine Wahl, wenn auch eine regionale, gewinnen können, ist etwas, das nachdenklich stimmen sollte“, erklärte Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz zum Triumpf der KPÖ in der steirischen Landeshauptstadt Graz. Es ist wirklich so, sehr wahrscheinlich aber anders, als der 35-Jährige meint, wirft es letztlich doch nicht nur ein Licht auf die Dunkelroten, sondern unter anderem auch die Türkisen.

Das Wahlergebnis zeugt nicht von einem großen Linksruck. Ein dezenter Hinweis darauf ist, dass die Kommunisten am vergangenen Sonntag auch rund 4000 ehemalige ÖVP- und FPÖ-Anhänger zu sich ziehen konnten, wie der SORA-Wählerstromanalyse zu entnehmen ist. Deutlicher aber sind die Worte von KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr: In einem ZIB2-Interview distanzierte sie sich geradezu von programmatischen Ansätzen wie einer Enteignung privater Unternehmen. Sie könne sich nicht erinnern, dass sie das jemals gefordert habe. Ihr Platz sei in Graz, in der Kommunalpolitik, wo es nicht um solche Fragestellungen gehe.

Mit dieser Aussage geht etwas Beklemmendes einher: Jeder politische und vor allem jeder politisch aktive Mensch sollte grundsätzliche Vorstellungen für das gesellschaftliche Zusammenleben im weitesten Sinne haben. Was sind Aufgaben bzw. Rechte und Pflichten aller Teile? Wie können sie am besten gewährleistet werden?

Elke Kahr kann darauf verweisen, dass sie „nur“ auf kommunaler Ebene tätig ist. Wo es in ganz Österreich sowie unabhängig von der Parteizugehörigkeit die Regel ist, zu tun, was gerade notwendig erscheint. Im schlimmsten Fall ist es Willkür, die dem eigenen Vorteil dient; das nennt man Korruption. Im besseren Fall ist es Gnade, die Hilfsbedürftigen zuteil wird. Auch das ist in einem demokratischen Rechtsstaat aber nicht unproblematisch: Hier sollte es eher Ansprüche geben.

Je mehr Macht Kahr bekommt, desto mehr muss sie sich der Frage stellen, welche allgemeingültigen Regeln sie schafft, was sie dazu beiträgt, dass nicht nur Einzelne eine Wohnung bekommen oder eine Miete bezahlen können, sondern dass dieses zunehmende Problem einer wachsenden Masse gelöst wird. Spätestens da kann sie nicht mehr ausweichend antworten, wie sie es mit Enteignungen und dergleichen hält.

Andererseits muss es wirklich zu denken geben, wie die Grazer KPÖ so erfolgreich werden konnte. These: Zugrunde liegt ein Versagen der Politik; bzw. das Drama, dass sich zu viele Politiker ein furchtbar schlechtes Image erarbeitet haben. Das hat die Begeisterung für Kahr und Genossen vervielfacht, die wenigstens in konkreten Fällen unermüdlich Gutes tun und einen Teil ihres Gehaltes spenden; die, wie ihnen von vielen Seiten attestiert wird, Sozialarbeit leisten.

Ihr Erfolg wäre nicht denkbar, wenn Politik die Regel wäre, die sich um Rahmenbedingungen für eine bestmögliche Entwicklung der gesamten Gesellschaft bemüht. In der SPÖ hat das zuletzt Christian Kern 2017 mit seinem „Plan A“ für einen Moment aufblitzen lassen. Seither hat es nichts Vergleichbares mehr gegeben. Zurückzuführen ist das auf Resignation: Vorstellungen wie eine Gemeinsame Schule oder eine Erbschaftssteuer sind aufgrund fehlender Mehrheiten nicht durchsetzbar. Also liegt die SPÖ dort, wo sie sich heute befindet.

Im Wissen, wie schwer, mühsam und womöglich auch unpopulär Strukturreformen wären, lässt die neue ÖVP von Sebastian Kurz wiederum lieber ganz die Finger davon. Sie, die viel eher als Kahr gestalten könnte, verzichtet darauf, bevorzugt Stimmungsmache durch symbolische Maßnahmen und polarisierende Aussagen; oder Gefälligkeiten wie die jüngste Pensionsanpassung, die bei Betroffenen aus nachvollziehbaren Gründen ankommen, laut Nachhaltigkeitsbericht des Fiskalrates längerfristig aber halt nicht abgesichert sind – die von daher letzten Endes eher zu einem noch größeren Vertrauensverlust in die Politik führen müssen.

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