Durchseuchung

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ANALYSE. Oberösterreichs LH Stelzer hat die neue Strategie im Umgang mit der Pandemie bestätigt. Mit größerem Risiko zieht er sie konsequenter durch als andere.

Dem oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) war es im ZIB2-Interview am Sonntagabend nicht unangenehm, von Armin Wolf darauf hingewiesen zu werden, dass es in seinem Land gemessen an der Bevölkerung die meisten Neuinfektionen österreichweit gibt. Den Hinweis, dass es zugleich die niedriges Impfquote aufweise, schien er erst gar nicht gehört zu haben. „Wir haben einen gültigen Plan der Bundesregierung, der sich an der Auslastung der Intensivbetten orientiert“, so Stelzer: „Ich halte das auch für die richtige Messgröße und in diesem Plan gelingt es uns, gut durchzukommen.“

Der Landeshauptmann hätte es auch anders formulieren können: Angesagt ist nun eine Pandemie der Ungeimpften bzw. eine Durchseuchung. Und zwar in Verbindung mit der Tatsache, dass besonders gefährdete Mitglieder der Gesellschaft (Ältere, Kranke, …) zu einem sehr hohen Grad durch eine Impfung geschützt sind. Also kann man das Virus, das irgendwann ohnehin alle erwischt, mehr oder weniger durchmarschieren lassen, so die Überlegung.

Es ist österreichisch, dass das in dieser Deutlichkeit verschwiegen wird. Dass darauf verzichtet wird, ein allgemeines Bewusstsein dafür zu schaffen, was hier vorgeht. Man macht einfach. In Oberösterreich läuft die Sache bisher recht glimpflich. Die Auslastung der Intensivmedizin ist nicht so groß wie in Wien. Auf der anderen Seite geht man jedoch ein viel größeres Risiko ein: Oberösterreich hat nicht nur die niedrigste Impfquote aller Bundesländer, sondern zählt auch zu denen, für die das Gesundheitsministerium kaum durchgeführte PCR-Tests ausweist. In den vergangenen sieben Tagen waren es keine zwei pro 100 Einwohner. Man weiß also gar nicht so genau, was wirklich läuft. Österreichweit handelte es sich um zwölf, in Wien um 46.

Stelzer macht ernst mit der Durchseuchung. Sein Parteikollege, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), hat die Pandemie der Ungeimpften zwar ausgerufen, lässt aber nicht so weit gehen. An den Schulen ist in den ersten Wochen nach den Sommerferien getestet worden, dass man da und dort nicht nachgekommen ist mit der Auswertung. Sicherheitshalber hat man hier gewissermaßen lieber ein Chaos in Kauf genommen. Es entsprach der alten Strategie, möglichst jede Infektion frühzeitig zu entdecken und eine Ausbreitung um schier jeden Preis zu verhindern.

In Nachbarländern hat man sich ein solches Chaos erspart. In der Schweiz hat die Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ausdrücklich empfohlen, Massentests, Maskenobligatorien und Quarantäneverfügungen an Schulen auf ein Minimum zu reduzieren. Der Kanton Bern hat das getan. Laut SRF-Wissenschaftsredakteur Daniel Theis läuft die Empfehlung „letztlich auf eine Durchseuchung an Schulen hinaus“.

Die Fachgesellschaft geht von einem überschaubaren Risiko aus. So will sie festgestellt haben, dass das Infektionsgeschehen zuletzt nicht von Jüngeren zu Älteren, sondern von jungen Erwachsenen zu Kindern verlaufen ist. Im Übrigen sei die „Krankheitslast“ bei diesen geringer (die vollständige Argumentation der Pädiatrie können Sie hier lesen). Abgesehen davon überholt die Schweiz nach einem zögerlichen Start gerade Österreich bei den Impfungen, sind dort inklusive der Genesenen mehr Menschen geschützt.

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