Kurz: Starkes Signal, null Wirkung

ANALYSE. ÖVP-Chef Sebastian Kurz fordert eine Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler. In Deutschland ist das jedoch totes Recht. Aus guten Gründen. 

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ANALYSE. ÖVP-Chef Sebastian Kurz fordert eine Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler. In Deutschland ist das jedoch totes Recht. Aus guten Gründen.

Mehr und wohl auch glaubwürdiger als alle anderen Spitzenkandidaten steht ÖVP-Chef Sebastian Kurz dafür, dass es so nicht weitergehen kann; dass Neues notwendig ist. Bemerkenswert ist, dass das ganz offensichtlich schon die Erwartungen sehr viele Wähler befriedigt. Motto: „Hauptsache Veränderung. Was auch immer kommt, es kann nur besser werden.“ Die Wahlprogramme der Neuen Volkspartei enthalten jedenfalls weder eine Pensionsstrukturreform, noch eine Steuersystemveränderung, geschweige denn zumindest grobe Umsetzungspläne für einen Verwaltungsabbau. Das wäre jedoch unumgänglich, wenn Österreich wirklich zukunftsfit gemacht werden sollte.

Doch zurück zum Ausgangspunkt: Beachtliche Glaubwürdigkeit, dass er Altes entrümpeln will, hat Kurz in der ÖVP gewonnen. Etwa, indem er im Hinblick auf die Wahl den Länderfürsten Zugeständnisse abgerungen hat, wie sie wohl einmalig sind; sie haben sich ganz seinem Willen untergeordnet.

Und jetzt hat Kurz, das Kanzleramt in Sichtweite, seine Entschlossenheit auf einem neuen Feld demonstriert: Als Kanzler wolle er eine Richtlinienkompetenz gegenüber den Ministern, ließ er beim offiziellen Wahlkampfauftakt in der Wiener Stadthalle wissen. Das kling nach einer Art Befehlsgewalt und hat sein Vorbild in Deutschland.

Wie ein Chef, der einen widerspenstigen Mitarbeiter anbrüllt: „Verdammt nochmal, ich bin hier der Chef!“

Dort handelt es sich jedoch um totes Recht, das noch dazu in einem ganz anderen Kontext steht: Grundsätzlich handelt es sich um eine Möglichkeit des Kanzlers, sehr allgemein Richtlinien der Politik zu bestimmen. Wie das „Handelsblatt“ in einer lesenswerten Analyse dazu schreibt, würde ein Kanzler, der einem Minister den besagten Grundsatzartikel unter die Nase hält, „so (allerdings) nur seine Schwäche erkennen lassen“. Wie ein Chef, der einen widerspenstigen Mitarbeiter anbrüllt: „Verdammt nochmal, ich bin hier der Chef!“ Abgesehen davon kann „kein Kanzler bestimmen, wen der Koalitionspartner zu Ministern macht. Selbst in der eigenen Partei muss er oder sie auf Fraktion und Landesverbände achten“, so das Handelsblatt weiter.

Berücksichtigt werden muss im Übrigen, dass der Richtlinienkompetenz des Kanzlers in Deutschland eine relativ schwache Stellung gegenübersteht, die dieser in Kabinettsitzungen hat: Regierungsbeschlüsse werden in Berlin mit Stimmenmehrheit gefasst. Der Kanzler kann also überstimmt werden. „Lediglich bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Bundeskanzlers“, führt der wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer Erläuterung zum Thema aus.

So gesehen wäre eine Richtlinienkompetenz für einen österreichischen Kanzler zumindest theoretisch etwas noch viel Wichtigeres: Bei Regierungsbeschlüssen herrscht hierzulande das Einstimmigkeitsprinzip. Sprich: Ein einziger „Querulant“ kann Vorhaben zumindest blockieren. Ihn könnte der Kanzler zurechtweisen.

Mitterlehner hat zuletzt nicht einmal seinen eigenen Parteifreund Sobotka entlassen lassen können.

Die Praxis würde jedoch anders ausschauen: Wenn dieser „Querulant“ zum Beispiel Chef des Koalitionspartners ist, läuft eine Zurechtweisung auf das Ende der Koalition hinaus. Ganz zu schweigen davon, wenn es sich bei den „Querulanten“ um alle Vertreter des Koalitionspartners handelt.

Doch auch unter anderen Umständen kann die Richtlinienkompetenz wirkungslos bleiben. „Die Ultima Ratio, die sich aus ihr ergibt, ist die Entlassung eines Ministers“, heißt es in Deutschland. Womit es nicht mehr weit ist zu einer Geschichte, die sich hierzulande im heurigen Frühjahr zugetragen hat: Der österreichische Bundeskanzler kann dem Bundespräsidenten vorschlagen, einzelne Minister zu entlassen. Christian Kern (SPÖ) hätte das in Absprache mit seinem Vize, ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, gerne in Anspruch genommen. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hätte demnach gehen sollen. Mitterlehner hat das jedoch parteiintern nicht durchgebracht. Also zog er die Konsequenzen und ging letzten Endes selbst.

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