ANALYSE. Das Problem ist, dass Karl Nehammer seinen Ämtern nicht gewachsen ist. Er ist weder ÖVP-Chef noch Kanzler.
Die Frage in der „Kronen Zeitung“ ist zu komisch. In einem Interview, in dem Sebastian Kurz zwar wenig bis nichts zu sagen hat, das sich aber trotzdem über drei Seiten erstreckt, wird er darauf angesprochen, ob es nicht „ein bisschen unfair“ gegenüber Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer sei, wenn er als Vorgänger „so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht“. Als müsste man Mitleid mit Nehammer haben. Oder Rücksicht nehmen, weil er’s halt nicht so gut kann. Kurz geht nicht darauf ein, er antwortet, es sei „etwas nicht ganz Ungewöhnliches“, als Ex „immer wieder auch medial präsent“ zu sein.
Er hat es genossen, bei der Kinopremiere einer Darstellung über ihn von Türkisen wieder einmal gefeiert zu werden. Hunderte waren vergangene Woche in die Wiener Innenstadt gekommen. Regierungsmitglieder, aber auch Altgediente wie Andreas Khol, der schon immer mit der Zeit gegangen ist. Eine Besucherin berichtete später, die Stimmung sei wie damals in der Wiener Stadthalle gewesen, als er vor sechs Jahren eine One-Man-Show abziehen durfte und ihm Tausende zu Füßen saßen; wie Statisten, die kein Gesicht und schon gar keine eigene Meinung haben wollen. Es war ein Abschied von parteiinterner Demokratie. Sie wich Kurz.
Die – in der ÖVP – entscheidenden Landeshauptleute hatten damals mitgespielt und ihm die Partei zu seinen Bedingungen überlassen. Heute signalisieren mehrere, dass das Kapitel Kurz für sie erledigt ist, ein Comeback nicht in Frage kommt. Seine politische Zeit sei vorbei, brachte es der Tiroler Anton Mattle zuletzt im „Standard“ am deutlichsten zum Ausdruck.
Aber was heißt das schon? Das „Krone“-Interview zeigt, dass Kurz ausgerechnet auch von Medien, die in Inseratenaffären verstrickt sind, noch immer den großen Auftritt geschenkt bekommt, als wäre nichts gewesen. Wichtiger jedoch: Karl Nehammer lässt aus.
Der Mann füllt weder das Kanzleramt noch die Funktion des ÖVP-Chefs. Besagte Landeshauptleute mögen regelmäßig das Gegenteil behaupten. Sie wollen es ganz offensichtlich aber nur nicht eingestehen.
Hätte Nehammer die ÖVP inhaltlich neu aufgestellt, wäre er von einem anti- zurück zu einem pro-europäischen Kurs gegangen, hätte er den Fokus auf Viktor Orban und dessen Migrationspolitik aufgegeben und würde er nicht weiter Scheindebatten wie jene über die Verankerung von Bargeld in der Verfassung pflegen, es würde kaum jemand auf den Gedanken kommen, dass Kurz wieder zurückkehren könnte. Weil da ja kein Nachfolger wäre, der inhaltlich den Eindruck erweckt, bloß ein Verwalter seiner Politik zu sein.
Natürlich: Nehammer tut das nicht, weil er sich als Platzhalter für Kurz betrachtet, sondern weil er keine Idee hat. Und die ÖVP scheint keinen Besseren als ihn zu haben. Das sagt sehr viel aus über ihren Zustand.
Wenn Nehammer ein selbstbewusster Bundeskanzler wäre, würde er nie im Leben auf eine Premierenfeier seines Vorgängers gehen, der in diverse Affären verstrickt ist und von den eigenen Parteifreunden 2021 zum Rückzug gezwungen wurde; er würde nie im Leben eine Mitarbeiterin des Kanzleramts (!) ein Foto von sich und Kurz machen und an ausgewählte Boulevardmedien schicken lassen. Er hätte ein Gespür dafür, welche Botschaften er damit aussendet.
Fotocredit: Bundeskanzleramt BKA (!!!)
Quelle Foto: https://t.co/jfzf3lNUkR— Stefan Lassnig (@StefanLassnig) September 7, 2023
Nämlich erstens, dass er zwischen Partei und Kanzleramt nicht trennen kann; zweitens, dass er, quasi wie zu seiner Zeit als Parteisekretär unter Kurz, diesem die Öffentlichkeitsarbeit checkt; und drittens, dass er offenbar meint, etwas von einem Glanz abzukommen, den es nicht mehr gibt. Siehe aktuelle „Heute“-Umfrage: Gezählte 18 Prozent würden eine Liste des 37-Jährigen bei der kommenden Nationalratswahl begrüßen. 56 Prozent wären sehr, weitere 15 Prozent eher dagegen. Die politische Zeit von Kurz ist, wie Mattle feststellt, vorbei. Es gibt jedoch keine Nachfolge, die sich emanzipiert hätte von ihm.