ANALYSE. Heinz-Christian Strache bestimmt das Niveau der Koalitionsverhandlungen, Christian Kern darf sich dankend in die Opposition verabschieden.
Eine Verhandlungsposition ist dann stark, wenn man mehrere Optionen hat. Oder wenn man dem Gegenüber zumindest vermitteln kann, dass man nicht auf ihn angewiesen ist. So einfach wäre das. Umso überraschender ist, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz gleich zum Auftakt der Regierungsbildung die Freiheitlichen verstehen lässt, dass er keine Alternative zu einer Zusammenarbeit mit ihnen sieht. Ja, er muss sich mit ihnen einigen. Sprich: Um (fast) jeden Preis. Soll heißen: Sie können (schier) alles von ihm verlangen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Aufgrund des Wahlergebnisses und vor allem der Wahlprogramme ist Schwarz-Blau sehr, sehr naheliegend. Und aufgrund auch der bisherigen Erfahrungen wäre Schwarz-Rot eine mittlere Katastrophe. Aber muss Kurz das vor Verhandlungsbeginn genau so sagen? Nein. Und trotzdem tut er es:
- Man muss sich wundern, dass der 31-Jährige die Sozialdemokraten so mir nichts, dir nichts in die Opposition entlässt. Das liefert ihn indirekt schon ein gutes Stück weit den Freiheitlichen aus, und ist nebenbei auch für Christian Kern und Genossen ein Glück bei allem Unglück: Sie dürfen jetzt herumrennen und behaupten, dass sie ja gerne „hätten“, aber von Kurz verstoßen worden seien. Anders ausgedrückt: Kurz hätte diesen Schritt zumindest inszenieren können: Wenn er etwa drei, vier Grundsätze definiert hätte, die ihm wichtig sind, wie eine starke Senkung der Steuer- und Abgabenquote oder eine Zusammenlegung sämtlicher Sozialversicherungsträger; und wenn er dann von Kern eine Antwort darauf erzwungen hätte, die in weiterer Folge sehr wahrscheinlich ablehnend gewesen wäre, dann hätte er, Kurz, zumindest sagen können: „Liebe Österreicherinnen und Österreich, Sie sehen, die Sozialdemokraten wollen nicht, sie weigern sich, Verantwortung zu übernehmen …“ Das hätte er im Übrigen auch in wenigen Tagen erledigen können. Und hätte zunächst einmal vor allem den Sozialdemoraten zu schaffen gemacht.
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- Einer Minderheitsregierung hat Kurz nun eine überraschend deutliche Absage erteilt. Eine Möglichkeit wäre das seinen jüngsten Aussagen zufolge zwar nach wie vor; sich aber von Nationalratssitzung zu Nationalratssitzung eine Mehrheit suchen zu müssen, könne auch nicht das Wahre sein. Also: Vergessen wir’s. Im Wahlkampf hatte er noch ziemlich unmissverständlich erklärt, dass das etwas wäre. Damals allerdings ist er ganz offensichtlich von einem noch viel deutlicheren Wahlergebnis ausgegangen; mit z.B. 37 Prozent hätte er sich wirklich mit den anderen Parteien, die dann allesamt Kleinparteien gewesen wären, spielen können.
- Genauer betrachtet erklärt Kurz die FPÖ letzten Endes nicht nur zur alternativlosen Verhandlungspartnerin. Er lässt sie auch von allem Anfang an das Niveau bestimmen: Grundvoraussetzung für eine Zusammenarbeit sei neben einem neuen Stil im Umgang miteinander und einem Willen zur Veränderung eine „klar pro-europäische Ausrichtung“: Allein schon, dass er das sagen muss, zeigt, dass er auf einen Partner spitzt, bei dem man das bezweifeln muss. Willkommen in Österreich 2017, knapp ein Vierteljahrhundert nach dem EU-Beitritt. Das ist bemerkenswert. Doch Kurz kommt den Freiheitlichen diesbezüglich auch noch insofern entgegen, als er gleich hinzufügt, dass er auch ein Bekenntnis zu einem subsidiären Europa darunter verstehen würde – also einem Europa mit weniger Brüssel und wieder mehr Nationalstaatlichkeit. Damit sollten sie leben können. Und zwar liebend gerne.
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