ANALYSE. Der ÖVP-Chef macht Stimmung. Bisher ist er damit sehr erfolgreich. Die Risiken sind jedoch unübersehbar.
Wer hoch steigt, fällt tief. Das weiß natürlich auch der neue ÖVP-Bundesparteiobmann Sebastian Kurz. Wobei niemand sagen kann, ob der Zenit bereits erreicht ist (oder noch – wie lange auch immer – nicht); und ob es allenfalls für einen Wahlerfolg am 15. Oktober reicht. Letzteres ist sehr gut möglich. Aber eben nicht fix.
Bemerkenswert ist jedenfalls, das der 30-Jährige auf einem sehr schmalen Grat unterwegs ist. Dass es auch für ihn nicht spielend einfach ist, die innenpolitische Bühne zu dominieren, zeigt beispielsweise eine Google-Trends-Auswertung für die vergangenen sieben Tage: Peter Pilz ist da allein mit einem ZIB2-Auftritt, in dem er seine Listenpläne bestätigte, mehr Interesse zuteil geworden als Kurz mit dem Wahlparteitag in Linz. Und über den gesamten Zeitraum gesehen liegt er zwar österreichweit vorne, nicht aber im bevölkerungsreichen Wien: Zumindest im Netz haben sich dort mehr Leute mit dem Grünen beschäftigt als mit ihm.
Nicht, dass das jetzt wahlentscheidend wäre; es ist aber eine Facette. Und auch der Bericht im neuen „Falter“, Kurz-Beamte hätten eine Islamkindergarten-Studie manipuliert, muss ihm nicht schaden: Dass es fragwürdige Zustände gibt, wird trotzdem kaum jemand bestreiten. Da könnten auch verfälschte Formulierungen eher lässlich wirken.
Größeres Risiko geht schon Kurz selbst ein. Und zwar mit dem „Spin“, den er mit seiner Parteitagsrede zum Ausdruck gebracht hat. Die Botschaft lautet: Wir sind die Weltmeister im Sich-die-Verhältnisse-Schönreden. Dabei wissen wir doch selbst, dass wir im internationalen Vergleich immer weiter abstinken und endlich zu tiefgreifenden wie schmerzlichen Reformen schreiten müssen.
Eine solche Stimmung ändert zwar nichts an Reformnotwendigkeiten, macht diese aber herausfordernder. Auch für Kurz.
Inhaltlich kann man das unterschreiben. Man muss aber davon ausgehen, dass ein beträchtlicher Teil der Österreicher genau das nicht hören will. Wehtun? Lieber nicht! Ganz besonders nicht in Zeiten, in denen die Wirtschaft eh wieder in Schwung kommt, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Realeinkommen endlich steigen und zum Beispiel die Budgetprobleme nicht mehr ganz so drückend scheinen.
Eine solche Stimmung ändert zwar nichts an Reformnotwendigkeiten, macht diese aber herausfordernder. Vor allem ist ungleich mehr Überzeugungsarbeit nötig. Auch für Kurz: Mehr denn je müsste er auf den Tisch legen, was seines Erachtens warum wie geändert gehört. Doch vor allem das „Wie“ will er nicht vor September präsentieren. Womit er nur hoffen kann, dass sich Zuspitzungen, er wolle der Republik eine Art Schüssel-Ditz-Blut-Schweiß-und-Tränen-Kurs verordnen, bis dahin nicht zu sehr zu seinen Ungunsten verselbständigt haben. Denn das wäre in den wenigen Wochen bis zur Wahl kaum noch wettzumachen.
Auf Dauer ist keine Masse nur in einem solchen Befürchtungszustand zu halten.
Zumindest ebenso riskant ist für Sebastian Kurz die Kurz’sche Flüchtlingspolitik: Sie geht von einem neuen Bedrohungsszenario aus, das beunruhigen muss. Dass sich nämlich ganz Afrika auf den Weg macht. Daher die Schließung der Mittelmeerroute. Das beruhigt. Der Haken daran ist jedoch: Länger wirken kann diese Kulisse nur, wenn in absehbarer Zeit wirklich hunderte, wenn nicht tausende Menschen wie im Herbst 2015 an der Grenze stehen. Sonst verpufft das – weil auf Dauer keine Masse nur in einem solchen Befürchtungszustand zu halten ist.
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