Kurz darf hoffen

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ANALYSE. Von den ÖVP-Landeshauptleuten ist nichts mehr zu hören. Und der Ethikrat der Partei hat ein Urteil gesprochen, das aus der „Message Control“-Abteilung stammen könnte.

In der innenpolitischen Szene, die nicht nur Parteien-, sondern auch Interessenvertreter, Journalisten und Interessierte umfasst, hat sich in den vergangenen Tagen eine bemerkenswerte Stimmung breitgemacht. Zumindest Teile erwecken den Eindruck, dass nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler etwas Neues losgehe; dass man jetzt aber wirklich Reformideen sammeln und bei den richtigen Leuten deponieren sollte – in der Hoffnung, dass sie letztlich umgesetzt werden. Ein bisschen erinnert das an die Zeit zwischen einem Nationalratswahl-Beschluss und einer Regierungsbildung. Da kann man träumen.

Aber jetzt? Die ÖVP ist nach wie vor stärkste Partei. Die Grünen sitzen momentan – wie hier ausgeführt – zwar an einem sehr langen Hebel. Die Antwort auf die Frage, was sich wirklich geändert hat, fällt gemessen an den Anlässen (türkise Korruptionsaffären) jedoch ernüchternd aus.

Sebastian Kurz hat einen „Schritt zur Seite“ gemacht, wie der ehemalige Kanzler und amtierende Partei- und Klubobmann selbst sagt. Sein Mann fürs Grobe, Andreas Hanger, wütet weiter, insbesondere auch gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Kurz‘ Gefolgschaft in der Regierung ist geblieben. Und die ÖVP-Landeshauptleute schweigen.

Man kann davon ausgehen, dass sie den Rücktritt durchgesetzt haben, nicht weil sie die dargestellten Machenschaften inakzeptabel finden, sondern weil sie es bei sich zu Hause mit zu vielen empörten Anhängern und Funktionären zu tun bekommen haben. Gewissermaßen drohte die „Kundschaft“ davonzurennen.

Also haben sie Kurz aus dem Schussfeld genommen. Mehr nicht. Johanna Mikl-Leitner hat sich nur über eine Video-Botschaft klar zur Sache geäußert. „Die Chats zeichnen ein Bild, das wir so nicht stehen lassen können und wollen“, teilte sie vor etwas mehr als einer Woche mit. Seither kann man nur rätseln, was das heißen soll. Möglicherweise gar nichts. Präzisierungen, geschweige denn Taten, folgten jedenfalls keine.

Die ÖVP-Landeshauptleute lassen mit einer Klarstellung auf sich warten, wie es jetzt weitergehen soll: Wird die Partei neu aufgestellt? Sollen irgendwelche Praktiken beendet werden? Darf Sebastian Kurz einfach nur eine Art Kanzlerkarenz einlegen und, wie Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) meint, bald wieder zurückkehren? Oder wie?

Je länger all da offen bleibt, desto deutlicher wird, dass die „Granden“ der Volkspartei erstens keine Einheit bilden und zweitens ohne Plan sind. Zweiteres ist nachvollziehbar: Sie hatten den Laden ganz Kurz übergeben und der ihn vollkommen anders ausgerichtet. Jetzt wissen sie nicht, was sie damit anfangen sollen. Auch kein Wunder: Auf 37,5 Prozent ist Kurz vor allem mit rechtspopulistischer Politik bzw. Unterstützung hunderttausender Ex-Freiheitlicher gekommen. Jede Abkehr davon – und sei sie noch so gut gemeint – wird mit Stimmenverlusten einhergehen. An Kurz festhalten wird dies ebenfalls. Aus Sicht der Landeshauptleute hat es jedoch einen Vorteil: Sie müssen nichts tun.

Also kann der 35-Jährige von einem Comeback träumen. Zumal der ÖVP-Ethikrat unter Leitung der steirischen Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic ein Urteil über ihn gesprochen hat, das ihm nur gefallen kann. Natürlich hat der Rat die Wortwahl in den Chats als völlig unangemessen bezeichnet und auch abgelehnt. Aber: Abgesehen davon, dass „Arsch“ und „Vollgas“ bei der ganzen Sache eher nur Nebensächlichkeiten sind, die persönlich tief blicken lassen, hat dieser Ethikrat, ohne einen Punkt zu machen, hinzugefügt, dass es sich nicht um öffentlich getätigte Äußerungen gehandelt habe. Ja, dass sie „ohne Beachtung von Datenschutz und Privatsphäre öffentlich gemacht“ und überdies „aus dem Zusammenhang gerissen“ worden seien. Damit kann Kurz nicht nur leben. Es entspricht exakt der Alle-gegen-ihn- bzw. Opfer-Rolle, die er seit dem Frühjahr für einen allfälligen Wahlkampf strickt.

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