ANALYSE. Sebastian Kurz hat bei der Regierungsbildung ein paar schlechtere Karten. Sprich: Das wird kein Kinderspiel für den Wahlsieger.
Allmählich wird’s ernst bei der Regierungsbildung. Auf Erstgespräche folgen nun zumindest Sondierungsgespräche mit Neos, Sozialdemokraten und Grünen. Wobei das Ergebnis absehbar ist: Die Neos sind nicht mehrheitsentscheidend und die Sozialdemokraten mit sich selbst beschäftigt. Also wird ÖVP-Chef Sebastian Kurz in weiterer Folge wohl nur mit den Grünen zu vertiefenden Koalitionsverhandlungen schreiten können bzw. schon allein der Dramaturgie wegen müssen.
Und dann? Grünen-Sprecher Werner Kogler macht’s Kurz schwer, hat er mit dem Klimaschutz doch ein Thema auf seiner Seite, bei dem auch die Wirtschaft für weitreichende Maßnahmen wäre. Und überhaupt: Auch mit einem doch-wieder-regierungswilligen FPÖ-Obmann Norbert Hofer ist Kurz konfrontiert; der Freiheitliche mobilisiert kräftig bei einer Klientel, die zu einem guten Teil auch in der ÖVP-Wählerschaft anzutreffen ist.
Wenn man bedenkt, dass nicht wenige Grünen-Anhänger vor gar nicht allzu langer Zeit mit einigen anderen Leuten auf dem Wiener Ballhausplatz das Ende der türkis-blauen Koalition gefeiert und möglicherweise ebenfalls „Kurz muss weg“ skandiert haben, dann ist es bemerkenswert, wie zurückhaltend dieses Lager zurzeit ist. Aus der ÖVP mögen Bedenken wegen „linker Grüner in Wien“ laut werden; sie aber haben kein Gesicht und so ist das nicht wirkungsvoll. Im Gegenteil: Die Grüne Sigrid Maurer, auf die sich rechte Vorbehalte konzentrieren, hat ausgerechnet in der „Kronenzeitung“ ein ganzseitiges Interview bekommen, um derartigen Vorbehalten entgegenzutreten. Titel: „Ich bin eigentlich eine Nette“ (zum Text geht’s hier).
Viel wichtiger ist für die Grünen jedoch das Thema Klimawandel. Da kann Kurz zwar auf Unterstützung sehr vieler Wähler hoffen, wenn er das mit einer Verfassungsbestimmung abhandeln und Pendlern im Übrigen nicht wehtun will bzw. eine CO2-Besteuerung überhaupt ablehnt. Sein Problem ist, dass die Grünen auf der anderen Seite wachsende Unterstützung z.B. für eine Ökologisierung des Steuersystems genießen. Experten wären sowieso dafür zu haben, und laut einer aktuellen Befragung wären das auch zwei Drittel der Unternehmen (siehe hier).
Soll heißen: Die Grünen können mit dem Thema viel rausholen. Wenn, dann müsste Kurz Koalitionsverhandlungen wegen etwas ganz anderem scheitern lassen; einer fehlenden Zustimmung für eine weitere Ausweitung des Kopftuchverbots für muslimische Frauen oder so.
Norbert Hofer, als FPÖ-Chef neben Vorzugsstimmen-Sieger Herbert Kickl geschwächt, verfolgt das erste Reihe fußfrei. Ja, er wird schon übermütig: Einerseits, um sich intern zu behaupten, andererseits vor allem aber auch im Wissen, dass zumindest ein Drittel der ÖVP-Wähler ganz und gar keine Freude mit Türkis-Grün hätte. Das eine Drittel nämlich, das aus ehemaligen FPÖ-, BZÖ- oder Team-Stronach-Wählern besteht, die Sebastian Kurz durch das gewonnen hat, was er selbst als „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“ bezeichnet.
Wie auch immer: Norbert Hofer mag sich bei seinen öffentlichen Auftritten besonnen geben. Gut, die Grünen hat er zuletzt als „Weltuntergangssekte“ bezeichnet. Wer ihn aber auf seiner Facebook-Seite besucht, erlebt einen ganz anderen Hofer. Einen Scharfmacher namens Norbert Gerwald Hofer nämlich, der etwa den mutmaßlichen Mordfall in Oberösterreich, begangen durch einen afghanischen Asylwerber, dazu nützt, ein Zurück zu türkis-blauer Flüchtlingspolitik inkl. Schließung aller Grenzen zu propagieren. Das wird schon ankommen bei den betreffenden Leuten in der neuen Wählerschaft der neuen ÖVP.
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Das ist wie ein Doppelspiel von Norbert Gerwald Hofer und Norbert Hofer: Der eine versucht eine Stimmung zu schüren, die eben für Türkis-Blau II ist. Der andere lässt auf einer Pressekonferenz ganz Österreich wissen, dass er doch nicht auf Opposition eingestellt ist, sondern für eine Fortsetzung der Koalition zu haben wäre. Ist ja logisch – das eine muss frei nach dieser Logik zwingend zum anderen führen. Wie auch immer: Sich dem zu entziehen, ist für Sebastian Kurz nicht ganz einfach aufgrund seiner erwähnten Wählerschaft.