ANALYSE. Wofür Lena Schilling als Spitzenkandidatin bei der Europawahl steht. Und was aus den Grünen geworden ist.
Anfang 2024 ließ sich Lena Schilling von den Grünen für die kommende Europawahl engagieren. Im November hatte sie laut Nachrichtenmagazin „Spiegel“ in einem Chat geschrieben, dass sie ihr Leben lang „niemanden so sehr gehasst“ habe wie die Grünen. Ende Jänner meinte sie laut Tageszeitung „Der Standard“ wiederum, dass die Partei, wenn sie einmal zur Spitzenkandidatin gewählt sei, nichts mehr machen könne – „muhahha“. Zwischendurch habe sie sich gegenüber Klubobfrau Sigrid Maurer besorgt gezeigt, „verbrannt“ zu werden, wenn sie einen Wahlkampf zu Migration und Sicherheitspolitik führen müsse. Und dann soll sie laut „Standard“ erwogen haben, nach dem Urnengang zur Linksfraktion zu wechseln, was sie zurückweist.
Urteil über Schilling? Gibt’s hier keines. Die Grünen – genauer: Parteichef Werner Kogler und Maurer – tragen Verantwortung für eine Zumutung. Es war fahrlässig, die 23-Jährige für diese Aufgabe zu engagieren; sie entweder nicht gut genug überprüft zu haben oder sich einfach nur blind auf sie eingelassen zu haben.
Hier geht es nicht nur um private Geschichten, die man über jeden verbreiten könnte: Bei weitem nicht jede Person sorgt zum Beispiel durch Erzählungen über einen Journalisten dafür, dass sich dieser gegenüber seinem Arbeitgeber entlasten muss. Bei weitem nicht jede Politikerin bringt sich durch Äußerungen wie die eingangs erwähnten selbst in Schwierigkeiten.
Dass Lena Schilling die Grünen gehasst hat: Ja und? Bei einer Heranwachsenden ist derlei doch normal. Was heißt normal? Es ist sogar gut und wichtig, dass sie unterschiedliche Standpunkte ausprobiert. Der Punkt ist: Europapolitik im Jahr 2024 ist zu ernst für derlei. Auch die Behauptung, dass es nicht schlimmer sei als das Niveau eines Herrn Vilimsky, wäre daneben: Vilimsky ist nicht das Maß, sondern eine Gefahr.
Mit Schilling werden ihr die Grünen nicht gerecht. Das ist die zweite Zumutung, die Kogler und Maurer zu verantworten haben: Durch ihre Spitzenkandidatin machen sie es den Zerstörern der EU leichter, größer zu werden. Als würden der türkise und der sozialdemokratische Beitrag dazu (Reinhold Lopatka und Andreas Schieder) nicht ausreichen.
Es ist drittens eine Zumutung gegenüber der eigenen Partei: Funktionärinnen und Funktionäre waren loyal und haben Schilling zur Spitzenkandidatin gekürt. Heute können sie sich nicht sicher sein, wie loyal Schilling gegenüber ihnen ist. Die Behauptung, sie habe vor wenigen Monaten noch daran gedacht, im Europaparlament zur Linkspartei zu wechseln, wiegt schwer. Die Aussage, dass sie die Grünen mittlerweile ins Herz geschlossen habe, wirkt in diesem Zusammenhang einfach nur kindlich.
Es trifft eine Partei, die ohnehin schon auf eine größere Krise zusteuert, massiv: Kogler und Maurer haben auf Schilling gesetzt, weil sie in den eigenen Reihen niemanden mehr sahen, der oder die noch groß punkten kann bei der EU-Wahl. Das war ein unfreiwilliges Eingeständnis. Sie haben geglaubt, eine Person von außen holen zu müssen, die politisch unbedarft, aber auch unverbraucht ist. Kalkül: Bei Dominik Wlazny sieht man, wie sehr letzteres ziehen kann in Zeiten eines massiven Vertrauensverlustes in die Politik.
Kogler und Maurer haben die Partei professionell durch die zu Ende gehende Regierungsbeteiligung geführt. Dabei ist jedoch vieles auf der Strecke geblieben. Eine nächste Generation, die die Führung übernehmen könnte, ist nicht in Sicht. Auf Bundesebene droht ihr der Abschied in die Opposition. Aus einem einfachen Grund: Die ÖVP will von ihrer Klimapolitik nichts mehr wissen, die SPÖ würde die CO2-Bepreisung am liebsten abschaffen. Beide möchten den krisenmüden Wählern nicht einmal mehr die nötigsten Veränderungen zumuten, weil diese aus ihrer Sicht nur Freiheitliche stärken. Daher werden die Grünen im Herbst wohl auch um die letzte Regierungsbeteiligung in den Ländern kommen – infolge der Landtagswahl in Vorarlberg.