Kickls Perspektive

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef kann darauf setzen, dass sich die Stimmung in Österreich nicht so schnell aufhellt. Und dass in mehr und mehr Bundesländern eine Politik gemacht wird, die ihm ebenfalls nützt.

Es sei noch nicht aller Tage Abend, ließ FPÖ-Chef Herbert Kickl seine Anhänger wissen, nachdem Bundespräsident Alexander Van der Bellen ÖVP-Obmann Karl Nehammer den Regierungsbildungsauftrag erteilte, er also leer ausging: Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Natürlich: Es ist offen, ob Nehammer den Auftrag erfüllen kann. Damit ist es auch möglich, dass er irgendwie wieder zurück ins Spiel kommt.

Vorerst sind die Weichen jedoch Richtung Opposition gestellt. Das ist nicht ungefährlich für ihn. Im schlimmsten Fall aus seiner Sicht hält eine neue Regierung ohne FPÖ gut fünf Jahre, also bis Herbst 2029. Das ist eine lange Zeit. So lange eine Stimmung zu seinen Gunsten in einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, ist nicht selbstverständlich möglich. Abgesehen davon muss Kickl zusehen, wie Parteifreunde in einem Bundesland nach dem anderen in Regierungsverantwortung kommen. Da könnte es schon passieren, dass einige vorwurfsvoll erklären: „Wenn Du nicht so radikal unterwegs wärst, könnten wir auch den Kanzler stellen.“ Einerseits.

Andererseits muss man die Möglichkeit sehen, dass Kickl nicht verlieren kann. Und zwar zunächst einmal unabhängig davon, wie sich die nächste Bundesregierung, zum Beispiel eine türkis-rot-pinke, schlägt.

Grund eins: In der Vergangenheit gab es meist nur eine Krise und die war nach ein paar Jahren vorbei. Dann war wieder „alles gut“, wie man so sagt. Das hat sich geändert. Spätestens seit Corona herrschen Ausnahmezustände. Ein Ende ist nicht in Sicht: Krieg, Migration, Klima etc.

Kickls Antwort darauf wird daher gefragt bleiben: Die „Festung Österreich“ steht dafür, für das, was draußen läuft, keine Verantwortung zu übernehmen, sich abzukapseln und in eine vermeintlich geschützte Welt ohne Sorgen und Nöte zurückzuziehen. Unter anderem daher auch die Anti-EU-Politik, die Absage an die Sanktionen gegen Russland und jegliche Unterstützung der Ukraine.

Grund zwei: Die Krisen verstärken auch ein Gefühl, wonach sich die Lebensverhältnisse verschlechtern. Auch davon profitiert Kickl. Zwei Tage vor der Nationalratswahl hat er das gezielt angesprochen: Wer glaube, dass sich die Verhältnisse verbessern, solle die ÖVP wählen, meinte er sinngemäß. Andernfalls solle man die Freiheitlichen unterstützen. Er ahnte schon, wie das ausgeht.

Das Schlimme ist nun, dass allein schon die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aussichten so sind, dass er damit weiterhin punkten kann. Ein Aufschwung ist nicht in Sicht. Durch Abwanderung besonders in ländlichen Regionen der Republik verstärkt sich zudem ein realer oder gefühlter Niedergang ebendort. Genau in einem solchen Umfeld feiert die FPÖ ihre größten Wahlerfolge.

Grund drei: Es wäre daher wichtig, dass Politik zu neuen Erzählungen findet. Besonders ÖVP und SPÖ betrifft das. Es ist Teil ihres Problems: Sie stehen für unterschiedliche Aufstiegsversprechen; dafür, dass der Wohlstand wächst. Daran glaubt jedoch kaum noch jemand. Eine neue Erzählung müsste darauf ausgerichtet sein, nicht von Herausforderungen und Widrigkeiten der Zeit – in Anlehnung an Kickl – abzulenken, sondern zu lernen, damit zurechtzukommen.

Dem steht jedoch dies im Weg: In immer mehr Bundesländern geben sich Türkise (oder auch Schwarze) Freiheitlichen geschlagen. Im Jänner könnte sich nach der burgenländischen Landtagswahl auch ein Roter, nämlich Hans Peter Doskozil, gezwungen fühlen, eine Koalition mit ihnen einzugehen und sie so Akzente setzen lassen, die Kickl entsprechen. Am stärksten ist das bisher durch ein einschlägiges Arbeitsübereinkommen in Niederösterreich geschehen: Derlei trägt dazu bei, dass ihm der Boden bereitet wird und seine Chancen intakt bleiben, spätestens in fünf Jahren Kanzler zu werden.

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