Kickls Narrenfreiheit

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ANALYSE. Als Militär verkleidet fordert der FPÖ-Chef auf Plakaten eine „Festung Österreich“ – und auf politischer Ebene gibt es keine Debatte darüber: Man traut sich nicht mehr, Notwendiges auszusprechen.

Es ist nicht nur ein Parka, den FPÖ-Chef Herbert Kickl auf einem Foto trägt, das auf einem Plakat mit der Botschaft „Festung Österreich – Grenzen schließen, Sicherheit garantieren“ zu sehen ist. Es ist eine vielschichtige Botschaft: Kickl signalisiert Kampfbereitschaft. Und zwar in einem militärischen Sinne. Der Parka erinnert an den, den zum Beispiel auch Bundesheer-Soldaten tragen. Auf der Brust befindet sich ein rot-weiß-rotes Abzeichen. Kickl ist damit auf dem Weg, die politische Ebene zu verlassen, in der sich die Auseinandersetzung auf eine verbale beschränkt. Er signalisiert die Bereitschaft, diese Auseinandersetzung auf eine andere politische Ebene zu befördern, in der auch Gewalt angewendet wird. Wenn es sein muss. Gegen Geflüchtete zum Beispiel.

Vor 20, 30 Jahren wäre das von Mitbewerbern angesprochen und verurteilt worden. Sehr wahrscheinlich jedenfalls. Heute hat man das Gefühl, es störe niemanden. Türkise, aber auch Rote, schließen eine Regierungszusammenarbeit mit Kickl zwar aus, sie lassen ihn jedoch gewähren. Er hat Narrenfreiheit, weil er schon zu groß ist: Wenn man ihn angreift, so die Befürchtung, bringt man auch seine (potenziellen) Anhänger auf gegen sich. Das ist für die ÖVP, die 2019 immerhin eine Viertelmillion Ex-FPÖ-Wähler gewonnen hat, grundsätzlich relevant, jetzt aber besonders in Niederösterreich, wo es für sie unter Führung von Johanna Mikl-Leitner darum geht, Verluste zu begrenzen. Das geht nur, wenn sie Wähler rechts der Mitte umwirbt, jedenfalls aber nicht verstört. Ergebnis: Das Ziel, eigene Verluste zu begrenzen, mag erreicht werden, Freiheitliche werden jedoch stärker.

Das scheinmilitärische Auftreten von Kickl gehört zurückgewiesen, weil eine Grenzüberschreitung damit einhergeht. Was kommt als nächstes? Schlimmer: Wozu könnten sich Leute, die das gut finden, ermuntert fühlen?

Das ist das eine. Das andere: Hier wird auch deutlich, dass aus Angst vor Kickl und den Freiheitlichen in Österreich keine politische Mehrheit für eine überfällige Migrationsdebatte möglich ist. Gefordert wird mit der Festung ausdrücklich, Grenzen zu schließen. Damit kann man sich aus der europäischen Integration verabschieden und eine Partnerschaft mit Ungarn bilden. Und damit kann man sich dem Schicksal hingeben, buchstäblich auszusterben.

Statistik Austria hat vor Weihnachten eine neue Bevölkerungsprognose vorgelegt. Ein Szenario geht von null Wanderung aus. Ergebnis: Bis 2080 wird die Zahl der Menschen hierzulande von heute neun auf dann 6,7 Millionen schrumpfen. Selbst eine Prognose mit Wanderung geht davon aus, dass es schon in den kommenden Jahren immer weniger Männer und Frauen im erwerbsfähigen Alter geben wird. In Kärnten werden es bis 2023 um sieben Prozent weniger sein. Das bringt nicht nur Herausforderungen in der Pflege etwa mit sich, sondern wird zunehmend auch wirtschaftsstandort- und wohlstandsgefährdend.

Insofern ist es schon fünf nach zwölf. Es gibt viele Möglichkeiten, der demographischen Entwicklung zu begegnen, keine ist einfach, keine bringt „die“ Lösung, jede kann jedoch lindernd wirken. Insbesondere auch eine offensive Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Keine ablehnende, oder auch defensive, die sich im besten Fall darauf beschränkt, „Integration vor Zuwanderung“ zu verlangen, was in Wirklichkeit heißen soll, dass man keine Zuwanderung mehr gutheißt.

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