Kickl ist noch lange nicht Kanzler

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ANALYSE. Gut zwei Jahre vor einer Nationalratswahl sind beste Umfragewerte sogar sehr gefährlich für den FPÖ-Obmann.

Unter dem Eindruck der Fußball-WM kann man sagen, Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer habe ein Eigentor geschossen. Er hat Asyl und Migration auf die Agenda gesetzt. Und zwar so, dass der Eindruck entstehen könnte, es gebe all diese Krisen nicht mehr, von denen er immer wieder spricht, wenn er betont, dass er sich nicht nur um Korruptionsbekämpfung kümmern könne. Gemeint sind Sicherheit, Teuerung und Energieversorgung. Schlimmer für Nehammer: Er hat sich dieses Thema im Glauben aufgewärmt, wie Sebastian Kurz damit punkten zu können.

Das kann er nicht: In einem „Krone“-Interview sagt er, dass es notwendig werden könnte, gewaltbereite Migranten an europäischen Grenzen zurückzuweisen. Er erinnert sogar explizit an „diese Szenen aus Nordafrika, den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla“, wo immer wieder Menschen sterben. Kurz hat dafür gezielt die Formulierung gewählt, dass es „nicht ohne hässliche Bilder“ gehen werde. Darauf angesprochen, findet Nehammer, dass „diese Verknappung unzulässig“ sei.

Das ist interessant: Er spielt quasi mit einem Feuer, weist jedoch die Feststellung zurück, dass es brenne. Er bereitet das Thema so auf, wie es den Freiheitlichen von Herbert Kickl entspricht und wird in letzter Konsequenz zögerlich. Das unterscheidet ihn von Sebastian Kurz. Kurz hat selbst abgeräumt, er hilft den Freiheitlichen, zumindest gleichauf mit den Sozialdemokraten auf Platz eins zu kommen und Herbert Kickl, einen Ausblick aufs Kanzleramt zu erhalten.

Das kann Kickl nicht recht sein. Es klingt komfortabel, dass er ohne sein Zutun schon so weit gekommen ist. Es ist aber auch gefährlich für ihn: Es könnte ihm gehen wie Heinz-Christian Strache nach 2015.

Wenn Norbert Hofer nicht beinahe Bundespräsident geworden wäre und die FPÖ in Umfragen nicht auf Platz eins gelegen wäre, wären Rote und (damals noch) Schwarze nicht nervös geworden. Christian Kern wäre es ungleich schwerer gefallen, Werner Faymann als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender abzulösen, Sebastian Kurz, sich an die Spitze einer „neuen“, von nun an türkisen Volkspartei zu setzen.

Auch für Kickl gibt es nun Risiken bzw. für all jene, die ihn ablehnen, Hoffnung: Selbst eine geschwächte ÖVP wird kaum mit einem Kanzler in eine Nationalratswahl ziehen, der ihr nur gut 20 Prozent bringen könnte. Abgesehen davon sind es unter Umständen noch fast zwei Jahre bis zu einem Urnengang. Da kann viel passieren.

Kickl liegt jetzt nicht vorne, weil er ein besseres Angebot hat. Er liegt vorne, weil Nehammer das erwähnte Eigentor geschossen hat. Und weil sich die Sozialdemokratie verspekuliert hat: Pamela Rendi-Wagner hat sich zu sehr darauf verlassen, von einem ÖVP-Absturz zu profitieren. Ein bisschen ist ihr vielleicht auch zum Verhängnis geworden, sich schon im März zur Kanzlerkandidatin erklärt zu haben: Damit ging eine Aufforderung einher, sie als solche zu bewerten. Dem hätte sie mit einer Initiative für ein neues Österreich gerecht werden müssen. So aber bzw. verstärkt durch einen diffusen Kurs zu Asyl und Migration sowie zur Schengen-Erweiterung ist keine Wendestimmung zu ihren Gunsten entstanden.

Jetzt rutscht Kickl in die Rolle des Kanzlerkandidaten. Das kann ihm, wie gesagt, nicht recht sein, ist aber gut so: Erstens, der Mann wird in den kommenden Monaten gefordert sein, selbst zu liefern; er wird nicht mehr nur punkten, ohne sich kaum zu Wort zu melden, sondern zentrale Figur der politischen Auseinandersetzung. Es liegt an den Mitbewerbern, aber auch an den Medien, ihn entsprechend zu fordern. Zweitens: FPÖ-intern läuft es auf eine Debatte darüber hinaus, ob er überhaupt Kanzler werden und sein kann. In Umfragen führt die Partei, weil andere Fehler machen und eine Unterstützung für sie in vielen Fällen einer Unmutsbekundung gleichkommt – aber nicht, weil eine Masse Herbert Kickl als Regierungschef haben möchte. Das ist eine seiner Schwächen.

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