Kickl hat nichts zu verlieren

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ANALYSE. Nach Hofer ist eine weitere Radikalisierung zu erwarten, die nicht nur der ÖVP, sondern ganz Österreich zu schaffen macht.

Norbert Hofer wirkt eher nur harmlos. Das hat es ihm vor fünf Jahren auch möglich gemacht, beinahe von einer Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Sprich: Wenn es jetzt heißt, dass es nach ihm zu einer Radikalisierung der FPÖ kommen könnte, ist das relativ, soll das nicht bedeuten, das sein Kurs gemäßigt war; er war im besten Fall diffus und vom Bemühen getragen, staatstragend-ministrabel rüberzukommen.

Herbert Kickl, Hofers wahrscheinlichster Nachfolger als Parteichef, ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Gerne unmissverständlich brutal, menschenverachtend, zynisch und kompromisslos, wie er als Innenminister bewiesen hat. Von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist er unmittelbar nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos gefeuert worden, bis heute heißt es, dass Kurz ihn nicht mehr akzeptieren würde als Regierungsmitglied. Steht die FPÖ also verloren in einer Ecke, wenn sie ihn zu ihrem neuen Obmann macht?

Wenn die Volkspartei Grenzen und Maße vorgibt, sollte man vorsichtig sein. Schon Andreas Khols Verfassungsbogen war ziemlich beweglich. Zuerst waren die Freiheitlichen draußen, dann wieder drinnen. Heute weiß man eigentlich nicht mehr, was zum Beispiel die persönlichen Angriffe des ÖVP-Nationalratsabgeordneten Andreas Hanger gegen einen Oberstaatsanwalt oder die Weigerung von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), ein VfGH-Erkenntnis zu befolgen, von üblen Machenschaften von Jörg Haider (z.B. Ortstafeln) oder eben einem Ex-Innenminister Herbert Kickl unterschieden soll, der einmal gesagt hat, dass Recht der Politik zu folgen habe. Auch Kurz tut so, als könne er sich in der Causa „mutmaßliche Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss“ über die Justiz stellen.

Man sollte sich also nicht wundern, sollte die ÖVP eines Tages wieder mit dem Freiheitlichen inkl. Herbert Kickl koalieren: Alles ist denkbar.

Nicht nur vor diesem Hintergrund hätte ein Kickl als FPÖ-Chef keinen Grund, den Streber zu spielen, um dann von Kurz bei erstbester Gelegenheit mit dem Vizekanzleramt belohnt zu werden. Viel wichtiger ist für Kickl, dass er im Sinne seiner Partei Kante gegen die ÖVP zeigen muss, wie sonst gegen niemanden: Das ist de facto die einzige Mitbewerberin. Heftiger: Sie hat die Freiheitlichen auch schon ganz brutal geschwächt.

Netto hat die ÖVP der FPÖ bei der Nationalratswahl 2017 laut SORA-Analyse rund 70.000 Wählerinnen und Wähler abgenommen und 2019 noch einmal eine Viertelmillion. Diese Viertelmillion entsprach etwas mehr als fünf Prozentpunkten. Ohne ihren Verlust wäre die FPÖ sogar knapp vor der SPÖ auf Platz zwei gelandet. Nur damit deutlich wird, von welchen Dimensionen hier die Rede ist.

Behauptung: Die Wählerinnen und Wähler gewinnt man nicht zurück, indem man freundlich zu Kurz ist und im Übrigen versucht, ihn zu kopieren. Das geht als Freiheitlicher eher nur, wenn man ihn angreift und öffentlich sichtbar möglichst schlecht ausschauen lässt einerseits; und wenn man andererseits zu Flüchtlings- und anderen Fragen eine einschlägige Alternative bietet, um es vorsichtig zu formulieren.

Die politische Auseinandersetzung wird unter diesen Umständen sehr wahrscheinlich noch viel brutaler werden in den kommenden Monaten und Jahren. Darauf sollte man sich zumindest gefasst machen.

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