Kein Kanzlerduell

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ANALYSE. Karl Nehammer hätte gerne eine Auseinandersetzung mit Herbert Kickl. Ernst zu nehmen ist das jedoch nicht und wird daher auch eher anders kommen.

In der ÖVP haben sie sich selbstverständlich etwas überlegt, ehe sie Karl Nehammer mit einem „Österreich-Plan“ bzw. einer Tüte voller Wahlgeschenke hinausschickten, um ein Kanzlerduell zwischen ihm und FPÖ-Chef Herbert Kickl ausrufen zu lassen. Ein ernst zu nehmendes Kanzlerduell im herkömmlichen Sinne ist es nicht: Bei allen Erhebungen geben keine 20 Prozent an, dass sie den Amtsinhaber (Nehammer) wählen würden. Schlimmer, bei einer „Heute“-Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut „Unique Research“ zum Jahreswechsel erstellte, erklärten gerade einmal 19 Prozent, dass ihnen Nehammer positiv auffalle. Da ist von der Papierform her kein Amtsbonus, der bei einer Wahl nützlich sein könnte.

Warum trotzdem diese Zuspitzung? These: Weil die ÖVP viel riskieren muss. In den vergangenen Jahren ist sie von bürgerlicher zu rechtspopulistischer Politik übergegangen und hat sich als Partei verleugnet (daher die neue Farbe und die Bezeichnung „Bewegung“ statt Partei). Einen Teil ihrer Anhängerinnen und Anhänger verlor sie an Grüne und Neos, gewann aber viel mehr Freiheitliche und konnte auch bisherige Nichtwähler für sich überzeugen.

Jetzt bezahlt sie dafür, zumal sie sich nach dem Abgang von Sebastian Kurz nicht neu ausgerichtet hat, sondern glaubt, der Ausrichtung treu bleiben zu müssen, die er vorgenommen hat. Wobei: Ein bisschen versucht sie sich als bürgerliche Kraft zu geben, den Rechtspopulismus betreibt sie jedoch weiter. Er zeigt sich in der Migrations- und in der Klimapolitik genauso wie in der Gesellschafts- und in der Budget- bzw. Steuerpolitik sowie in einer fehlenden Europapolitik.

Die Not der ÖVP ist so groß, dass sie ihre größte Schwäche bei der ganzen Geschichte nicht kaschiert, sondern riskiert, sie noch weiter zu vergrößern. Als Partei hat sie sich wie gesagt erledigt. Und personell ist sie auf Bundesebene mehr oder weniger auf Karl Nehammer beschränkt. Er tut so, als würde er einen persönlichen „Österreich-Plan“ vorlegen und glaubt damit vielleicht lästigen Fragen begegnen zu können, warum die ÖVP, seit 37 Jahren in der Regierung, das alles noch nicht umgesetzt habe. Es wird ihm jedoch nichts bringen: Laut APA/OGM-Index misstrauen ihm ganze 62 Prozent.

Was hier als „Kanzlerduell“ dargestellt wird, ist nicht anderes als eine türkise Kampfansage an Blaue. Quasi ein internes Match. Nehammer versucht Herbert Kickl lästig zu sein. Es ist ein Werben um die 50, 55 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die ganz oder eher rechts der Mitte stehen. Indem sich Nehammer als Gestalter darstellt und Kickl als rechtsextremen Spalter, hofft er, gut fünf Prozentpunkte zu seinen Gunsten bewegen und quasi guter Zweiter werden zu können. Mehr geht nicht.

Das ist riskant. Inhaltlich bietet er FPÖ light. Sebastian Kurz hat das auch gemacht, und bei ihm ist das bekanntlich aufgegangen. Aber Karl Nehammer ist nicht Sebastian Kurz. Er ist von seiner Strahl- und Überzeugungskraft her eher mit Wilhelm Molterer oder Michael Spindelegger vergleichbar. Insofern ist es gut vorstellbar, dass Kickl gerade dasitzt und kaum glauben kann, was hier läuft: eine potenzielle Mobilisierung zu seinen Gunsten. Dankeschön! Schmiedl hilft Schmied.

Ein solches Kanzlerduell wird es am Ende kaum geben. Es würde unterstellen, dass es nur die Wahl zwischen einem extrem rechten und einem weniger rechten Regierungschef gebe. Da werden mindestens 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht mitspielen.

Dass es in Österreich traditionell eine Mehrheit rechts der Mitte gibt, bedeutet nicht, dass in der Mitte und links davon niemand ist. Zumal sich die ÖVP rechts einbetoniert, ist viel Platz für Grüne, Pinke und Rote.

Da kommt SPÖ-Chef Andreas Babler ins Spiel. Wenn es bei der Nationalratswahl zu einer Art Duell kommt, dann allenfalls einem zwischen ihm und Kickl. Links vs. Rechts. Voraussetzung: Babler schafft es, sich zur Stimme jener zu machen, die eine blau-türkise Koalition unter gar keinen Umständen haben wollen.

Nach herkömmlichen Regeln weiß Nehammer schon, dass er Babler als Kanzlerkandidat diskreditieren kann, wenn er daran erinnert, dass er gerade Begriffe wie „Verarschung“ (für das, was Nehammer mit einer Rede gemacht habe; Anm.) verwendet hat. Das sind aber herkömmliche Regeln.

Sehr viel spricht dafür, dass im Jahr 2024 nicht gewinnt, wer sich staatstragend gibt, sondern wer Wut und Enttäuschung über Regierende bzw. auch das Misstrauen, das diesen entgegengebracht wird, am wirkungsvollsten aufgreift. Das jedenfalls ist eine Erklärung dafür, dass die FPÖ mit Kickl weit vorne liegt und die SPÖ mit Babler folgt. Es ist vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass Nehammer, obwohl Kanzler und Obmann der seit Jahren bestimmenden Partei in Österreich, in seinem „Plan“ allen Ernstes einen „Regimewechsel“ fordert, also so tut, als hätte er mit der Regierungspolitik bisher nichts zu tun und sei in Opposition.

Es könnte im Übrigen erklären, warum Kickl gezielt mit „Fahndungslisten“ arbeitet oder Babler ebenso gezielt (zunächst in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung, dann auf einer Pressekonferenz) von „Verarschung“ spricht: Es gibt links, in der Mitte und rechts sehr viele unterschiedlich tickende Menschen, denen das eine oder andere entspricht.

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