(K)ein Geschenk für die Neos

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ANALYSE. Der Absturz der ÖVP und schwächelnde Grüne sprechen für einen Aufstieg der Liberalen. Es gibt jedoch Grenzen.

Zum 10. Geburtstag müssen die Neos nicht unzufrieden sein, wenn sie sich anschauen, wo sie stehen: Die Erzählung, dass es in Österreich keinen Platz für eine liberale Partei gebe, ist Lügen gestraft. Beate Meinl-Reisinger, Freundinnen und Freunde, müssen sich keine Sorgen um ihre Existenz machen. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass sie bei einer kommenden Wahl aus dem Nationalrat fliegen. Sie könnten eher zulegen: 2019 haben sie acht Prozent erreicht, aktuell halten sie im Schnitt zwölf. Das entspricht einem Plus von vier Prozentpunkten. Oder von 50 Prozent.

Kein Wunder: In Regierungsverantwortung und damit auch in der Pflicht stehen ÖVP und Grüne, wobei das Versagen zumindest bei ersterer riesig ist, wie sehr viele Menschen ganz offensichtlich finden: Die Volkspartei hält nach 37,5 Prozent bei der Nationalratswahl 2019 nur noch 22 Prozent. Karl Nehammer gelang es nur vorübergehend, stabilisierend zu wirken. Seit geraumer verschlechtern sich die Umfragewerte wieder weiter. Und das, aber auch eigene Unzulänglichkeiten, scheint zunehmend auch die Grünen mitzureißen. Der Koalitionspartner würde derzeit von 14 auf rund zehn Prozent verlieren. (Quelle: Politico, Poll of polls)

Von daher könnte es fast schon überraschen, dass die Neos nicht noch besser liegen. Sie werden gerne von bestimmten Ex-ÖVP-Wählern einerseits und Ex-Grünen-Wählern andererseits gewählt. Dabei dürfte es sich eher um Liberale im wirtschafts- und oder gesellschaftspolitischen Sinne handeln. Ihre Zahl ist jedoch begrenzt – und das erklärt vieles.

Die Wählerschaft der Volkspartei hat sich schon unter Sebastian Kurz so sehr gewandelt in ihrer Zusammensetzung, dass heute nicht mehr viel zu holen ist für die Neos. Es handelt sich zu einem erheblichen Teil um Ex-FPÖ-Anhänger und Leute, die mit der Politik eigentlich schon abgeschlossen hatten (Nichtwähler). Liberale flüchteten – 2019 stammte mehr als ein Fünftel der Neos-Wähler von der neuen Volkspartei; 83.000 hatten laut SORA-Analyse zwei Jahre zuvor noch die Partei von Kurz unterstützt (umgekehrt haben die Neos kaum Wähler an diese verloren).

Die Neos zeigen auch keine Absicht, eine Massenpartei zu werden. Dass sie sich als einzige für eine Beteiligung an einer Europäischen Verteidigungsunion aussprechen, kann man mit Blick auf vorherrschende Meinungen in der Bevölkerung als mutig oder auch dumm bezeichnen: 90 Prozent der Menschen in Österreich klammern sich an die Neutralität. Also mag auch kaum jemand debattieren darüber, bleiben die Neos allein.

Wie Politik mit Zunahme der Krisen überhaupt dazu übergegangen ist, zu resignieren. Wo ohnehin schon so viel gefährdet ist, soll sich offenbar gar nichts mehr ändern. Bildung, Pensionen, Föderalismus – Missstände sind erheblich, Reformbemühungen gehen jedoch Richtung null. Für Neos ist es in einem solche Umfeld schwierig, zu sein.

Und die Aussichten werden kaum besser für sie. Spekulationen über eine neue Partei von und mit Christian Kern sind noch vage. Eine solche könnte ihnen wehtun, hätte aber dasselbe Problem wie sie: Der Anteil der Menschen, die wirklich tiefgreifende Reformen wollen, ist überschaubar (sobald es ernst wird).

Es hat schon einen Grund, dass die SPÖ schon bei rund 30 Prozent, also weit vorne, liegt, ohne groß aufzuzeigen. Es entspricht nicht einer Sehnsucht nach Veränderung, sondern nach Stabilität bzw. Ruhe. Womit aus Sicht der Neos sogar sehr Bedrohliches einhergeht: Genossen wie der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke streben nach einer Großen Koalition, also einer Zusammenarbeit mit der ÖVP nach der nächsten Wahl. Auf der anderen Seite lässt auch Bundesvorsitzende Pamela Rendi-Wagner keine Präferenzen erkennen, die zumindest darauf hindeuten würden, dass sie ein Ampelkoalition mit Neos und Grünen bilden möchte. Eine solche Konstellation wäre wirklich anspruchsvoll, würde auch die Sozialdemokratie herausfordern, müsste sie sich doch auf ein Mehr an Transparenz, Klimaschutz und Wettbewerb einlassen. Also scheint die Begeisterung dafür auch von daher gering zu sein.

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