ANALYSE. FPÖ-Chef Herbert Kickl sieht auch wenige Wochen vor der Nationalratswahl keine Notwendigkeit, sich zu mäßigen. Das ist womöglich Ausdruck einer üblen Stimmungslage im Land.
FPÖ-Chef Herbert Kickl habe sich auf einer Wahlveranstaltung in Hallein am vergangenen Samstag „gewohnt angriffig gegeben“, berichtet ORF Salzburg. Als wär’s normal, was er in Bezug auf die Festspiele in der Landeshauptstadt sagte. Zitat: „Da will ich gar nicht dabei sein, bei diesen Heuchlern und dieser Inzucht-Partie, wo bei den Festspielreden dauernd davon gesprochen wird, dass man Brücken bauen muss, niemand wegstoßen darf und Gräben zuschütten muss. Und alle sitzen dort und klatschen. Und was machen sie den ganzen Tag, und was haben sie bei Corona gemacht? Da haben sie Gräben aufgerissen, dass es ärger nicht mehr geht.“
Natürlich: Es entspricht dem Kickl, der sich seit eineinhalb Jahren als „Volkskanzler“ ausgibt, der verspricht, nach unten zu dienen und nach oben zu treten; der dann Leuten einredet, dass einzig die FPÖ auf ihrer Seite sei, dass alle anderen Volksverräter seien, der erklärt, dass Nehammer, Rauch, Edtstadler, Kogler und Schallenberg auf seiner „Fahndungsliste“ stehen würden etc.
Dass Kickl diese Rolle auch vier, fünf Wochen vor der Nationalratswahl konsequent pflegt, ist jedoch bemerkenswert. Immerhin liegt die FPÖ in Umfragen klarer als beim Urnengang zum Europäischen Parlament vorne, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er wird, was er unterschiedlichen Botschaften auf seinen Plakaten zufolge werden möchte: Kanzler. „Euer Wille geschehe.“
Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass sich Kickl mit der Aussage „Inzucht-Partie“ in Bezug auf die Festspiele endgültig disqualifiziert hat. Wenn die FPÖ groß gewinnt sowie ÖVP und oder SPÖ groß abstürzen, schaut vieles anders aus.
In den Reihen der FPÖ hat man auch kein Problem mit dem Begriff. Auf ORF.AT heißt es zwar, man relativiere diesen. Davon kann jedoch keine Rede sei. Vertreterinnen und Vertreter der Partei präzisieren vielmehr, dass er sich auf die da oben beziehe. Salzburgs LH-Stellvertreterin Marlene Svazek betont: „Kickl hat sicher die Bundesregierung bei den Festspielen angesprochen, nicht die Salzburger, die wirtschaftlich davon profitieren und stolz auf die Tradition der Festspiele sind.“
Ja, Kickls Aussage habe „zu keiner Sekunde den normalen Festspielgästen“ gegolten, so FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker: „Im Visier stand vielmehr der Bundespräsident, der in seinen Eröffnungsreden immer von Brückenbauen und vom Zuschütten von Gräben spricht. Dazu applaudieren dann die Vertreter der Einheitspartei, die aber genau das Gegenteil dann in ihrer Politik leben: Sie spalten die Gesellschaft wie bei Corona.“
Es ist nicht einmal mehr eine Beruhigung, wenn man bedenkt, dass Kickl hier eher nur seinen Anhängern entspricht. Gründe: Erstens ist das alles hart an der Grenze zu einer Ermunterung, gegen Van der Bellen und jene vorzugehen, die auf Kickls Fahndungsliste stehen, wie es einem aus einer abgrundtiefen Abneigung heraus gefällt. Zweitens umfasst die Anhängerschaft im weitesten Sinne bis zu 30 Prozent der Wählerschaft – und das ist eine relative Mehrheit.
Im besten Fall ist Kickl nun im Glauben, bald Erster zu sein, übermütig; oder er provoziert mit dem Ziel, es der ÖVP noch schwerer zu machen, von ihrer Absage abzuweichen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Kalkül: Dann kann er weiter den Ausgegrenzten spielen.
Im schlimmsten Fall jedoch ist es mit der politischen Stimmungslage in Österreich schon so weit, dass sein Auftreten wirklich an die 30 Prozent entspricht und dass das aufgrund der Schwächen von ÖVP und SPÖ zu einer sehr klaren Führung reichen kann.
Was dafür spricht: Seit eineinhalb Jahren eben ist Kickl so wie er heute ist. Und es hat ihm bisher nicht erkennbar geschadet. Im Gegenteil, sehr viele Menschen warten offenbar darauf, dass er loslegt.