ANALYSE. Nicht der Streit zwischen Schallenberg und Mückstein lähmt die Krisenbewältigung. Es ist der unsicht-, aber spürbare Geist von Sebastian Kurz. Diesbezüglich wäre eine Klarstellung notwendig.
Man kann sich wundern, dass diese Titelseite der „Kronen Zeitung“ auf Twitter so viel geteilt wurde: „Dieser Politstreit kostet Leben!“, lautet die Schlagzeile. Zu sehen sind Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) mit der Botschaft, dass die öffentliche Auseinandersetzung zwischen den beiden die Krisenbewältigung lähme.
Nun, das ist nicht ganz falsch, kann in dieser Schlichtheit jedoch gerade auch türkisen Spin-Doktoren gefallen. Es handelt sich um eine Verurteilung von Schallenberg und Mückstein gleichermaßen. Sie würden alles nur noch schlimmer machen. Hauptleidtragender ist Mückstein: Er ist weit davon entfernt, bestmögliche Coronapolitik zu machen (wie zum Beispiel hier ausgeführt), hat sich zuletzt aber nur unglücklich für verschärfte Maßnahmen ausgesprochen; nämlich zu einem Zeitpunkt, da der Lockdown für Ungeimpfte noch nicht einmal wirksam geworden ist. Schallenberg hat dem eine Absage erteilt und ÖVP-Regierungsmitglieder von Elisabeth Köstinger bis Margarete Schramböck haben das – ganz offensichtlich – konzertiert zurückgewiesen.
Das war lupenreine Parteipolitik. Um ebensolche geht es verhängnisvollerweise nach wie vor. In der bürgerlichen „Presse“ heißt es, die ÖVP erwecke den Eindruck, „als gelte es in erster Linie das Erbe des Sebastian Kurz zu wahren. Für eine eventuelle Wiederkehr auf größerer Bühne“. Die „Vorarlberger Nachrichten“ schreiben in einem Leitartikel, „Teilen der ÖVP ist der Ernst der Lage noch nicht bewusst, da weiterhin Maßnahmen verzögert oder verwässert werden“. Kurz sei mit der Rettung seines angeschlagenen Rufes beschäftigt: „Es geht um ihn. Während es in Österreich, am Höhepunkt der Pandemie, um Leben und Tod geht.“
Die „Kleine Zeitung“ bezeichnet folgendes als Hauptgrund für die türkise Zögerlichkeit auf Bundesebene: „Ex-Kanzler Sebastian Kurz hatte im Sommer den Slogan „Pandemie gemeistert“ plakatieren lassen. Im Spätsommer wurde dies unter dem Zusatz „zumindest für Geimpfte“ ergänzt. Bereits ein Teil-Lockdown für alle, etwa eine Ausgangssperre ab 20 Uhr, würden diese Erzählung konterkarieren.“
Dieser Text ist kein Plädoyer für einen harten Lockdown. Hier geht es darum: Es ist offensichtlich, dass ein bestimmender Teil der Regierung nicht in erster Linie an der Bewältigung der Coronapandemie und der Verhinderung von hunderten Todesfällen interessiert ist; er ist auch nicht vorrangig an der Rettung der Wintersaison interessiert (abgesehen davon, dass er diesbezüglich höchst Kontraproduktives leistet). Es geht ihm vor allem darum, Sebastian Kurz zu dienen.
Österreich befindet sich in Geiselhaft des 35-Jährigen: Schallenberg versteht sich selbst als sein Statthalter, der tut, was er ihm anschafft. Aus seiner Sicht ist das nicht verwerflich, sondern logisch und selbstverständlich. Von Köstinger ist das bekannt. Wenn Kurz es will, macht sie auch für ein paar Wochen die Nationalratspräsidentin und verletzt so die Würde dieses Amtes.
Insofern mag die „Krone“-Titelseite einer verbreiteten Emotion entsprechen (alle wollen, dass die Streitereien aufhören); inhaltlich ist sie aber voll daneben: Wenn es um eine Lösung des Problems geht, dann muss die neue Volkspartei zu einer Klarstellung aufgefordert werden. Dann muss sie Bundespräsident Alexander Van der Bellen heute bitten, Kurz wieder als Kanzler anzugeloben; oder (u.a. wenn Van der Bellen dies ablehnt) ihn ganz aus der Politik verabschieden. Sein Geist, der derzeit unsicht-, aber spürbar wirkt, ist es, der die Krisenbewältigung lähmt.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Kurz die erwähnte Titelseite eines Tages mit dem Hinweis vor sich herträgt, dass ohne ihn das Chaos herrsche. Dass das zumindest ÖVP-intern aufgeht, zumal man dort sonst niemanden hat, der eine größere Wahlniederlage verhindern kann. Und zumal einer bürgerlichen Welt ein Sebastian im Zweifelsfall noch immer lieber wäre als eine Pamela Rendi-Wagner. All die Skandale tun da nichts zur Sache; zu einem allfälligen Urteil wird es wohl erst in vielen Jahren kommen.
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