Ich zuerst

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ANALYSE. Sebastian Kurz verstärkt die „mediale Prozessführung“ zu seinen Gunsten – ausgerechnet jetzt, da Österreich ganz andere Probleme hat, tut er das mit Hilfe zweifelhafter Argumente und Methoden.

Österreich befindet sich in einer kritischen Phase dieser Pandemie. Politik verliert einen letzten Rest an Wirkungskraft, Gräben zwischen Teilen der Gesellschaft wachsen bedrohlich und aus immer mehr Spitälern ist einmal mehr das T-Wort zu hören: Triage. Dabei hatte einer, der einst das Vertrauen sehr vieler Menschen genoss, schon vor mehr als einem Jahr gesagt, dass die Gesundheitskrise vorbei sei. Hat seine Partei im heurigen Sommer stolz damit geworben, die Sache „gemeistert“ zu haben. These: Das verstärkt die Frustration in Teilen der Gesellschaft, die Enttäuschung ist groß.

Die Pandemie ist noch immer voll da. Doch der, von dem hier die Rede ist, hat ganz anderes zu tun. Sebastian Kurz ist zwar nicht mehr Bundeskanzler, er ist aber noch immer Obmann der größten Partei und Chef ihrer Parlamentsfraktion. Allein schon von daher müsste er Teil der Krisenbewältigung sein. Ist er‘s? Woher.

Der 35-Jährige tut sich nichts Gutes damit, gerade jetzt ausschließlich in eigener Sache unterwegs zu sein. Das mag er schon immer getan haben, in der Vergangenheit aber konnte er das mit unausweichlichen Fragestellungen verbinden. Im Frühjahr konnte er zumindest Druck für die Beschaffung von mehr Impfstoffen machen, um sich als vermeintlicher Problemlöser zu inszenieren. Von der Themenlage her hat das gepasst.

Hier aber? Während man sich auf einen weiteren Lockdown für alle einstellen muss, hat Kurz nichts Besseres zu tun, als seinen persönlichen Kampf gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) fortzusetzen. Wobei es tief blicken lässt, dass er auf Rechtsmittel verzichtet und lieber eine „mediale Prozessführung“ betreibt, wie es Ex-Justizminister Clemens Jabloner in der „Kleinen Zeitung“ formuliert.

Das ist eine logische Zuspitzung der Methode Kurz: Wichtig ist nicht, was ist, sondern was wie wahrgenommen wird. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das, dass man sich voll und ganz darauf konzentrieren muss, die allgemeine Wahrnehmung zu beeinflussen. Wenn das gelingt, ist man politisch-gefühlt aus dem Schneider, egal was eine Staatsanwaltschaft behauptet oder ein Gericht vielleicht einmal urteilt. Dann ist allenfalls von einem Kavaliersdelikt die Rede.

Am Wochenende also, als im Kanzleramt die Lichter nicht ausgingen und am Ende trotzdem keine Hoffnung auf ein Licht am Ende der dritten Infektionswelle stand (zumal zwischen Regierungschef und Gesundheitsminister keine Einigkeit besteht und entschlossene Maßnahmen ausblieben); in diesen Tagen also, die an den Nerven einer Masse zehren, lässt Sebastian Kurz ein angebliches Gutachten der Uni Wien veröffentlichen, wonach die WKStA in Bezug auf seine Person „freihändige Spekulationen“ angestellt habe und an ihren Darstellungen nichts dran sei.

Was überrascht, ist, wie gut derlei noch immer aufgeht für den ÖVP-Chef: „Keine Verdachtslage gegen Kurz“, titelt die Krone, zwar unter Anführungszeichen, aber doch – für die „Message“ hat das keine Relevanz, es sitzt. „Österreich“ schreibt als beteiligte Zeitung sogar, der WKStA-Akt sei durch das „Kurz-Gutachten zerlegt“ worden.

Wir erleben gerade eine der massivsten litigation-pr-Kampagnen, die dieses Land je erlebt hat.
Zentrales Ziel ist die Weißwaschung des zurückgetretenen Bundeskanzlers @sebastiankurz .
Der heimische Journalismus ist dagegen nur zum Teil gewappnet oder macht willfährig mit. 1/12

— Fritz Hausjell (@Hausjell) November 14, 2021

Auf der anderen Seite bleibt so viel Absurdes bis Unverschämtes, dass sich der Altkanzler hier einen Bärendienst erwiesen hat. Der Zeitpunkt ist das eine. Das andere, dass es sich hier nicht um ein unabhängiges, sondern um ein Auftragsgutachten handelt, erstellt von einem Mann, der hier ausdrücklich nicht für die Uni gearbeitet hat, wie er hinterher betonen musste, und der vor vielen Jahren in einem anderen Zusammenhang von der ÖVP mit dem Leopold-Kunschak-Preis ausgezeichnet worden ist. All das stärkt das Gewicht seines Gutachtens nicht. Im Gegenteil. Man kann sich fragen, warum Kurz nicht – sagen wir – einen internationalen Kapazunder gewählt hat, der über jeden Verdacht erhaben ist, jemals auch nur entfernt in Beziehung mit Kurz oder seiner Partei gekommen zu sein.

Gutachter Peter Lewisch, der der WKStA freihändige Spekulationen unterstellt, agiert selbst sehr freihändig, wenn er Inseratenkorruption in Abrede stellt und von „sozial-adäquaten Verhaltensweisen“ schreibt. Soll heißen: Medien lassen sich nicht in unzulässiger Weise beeinflussen durch millionenschwere Werbung des Kanzleramtes oder eines Ministeriums; und ebendiese erwarten sich auch gar keine Hofberichterstattung. Schön wär’s.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bestätigte vor einem Jahr ausgerechnet in einem Interview mit „Österreich“-Chef Wolfgang Fellner folgendes: „Sie kennen das Geschäft ja. Fürs Inserat gibt’s ein Gegengeschäft.“ Pikant: Beide bekräftigen dies mit einem selbstverständlichen „Natürlich!“ Umgekehrt glauben laut einer „Gallup“-Erhebung nur 45 Prozent der Menschen, dass die österreichischen Medien objektiv über die jüngsten Inseratenkorruptionsaffären berichten und um Aufklärung bemüht sind. Eine Masse ist aus nachvollziehbaren Gründen misstrauisch.

Kurz wie Lewisch dürfte diese Glaubwürdigkeitskrise immerhin bewusst sein. Also versuchen sie, zu verniedlichen, was nicht zu verniedlichen ist. Dazu muss ein Absatz wiederholt werden, der vor einer Woche auf diesem Blog stand: In einem „Zeit“-Interview hat sich Martin Kreutner, Experte in solchen Dingen, erfreulich deutlich gegen Begriffe wie „Schlawinertum“ und „Freunderlwirtschaft“ verwehrt. Das habe etwas „Nett-Folkloristisches“: „Wir müssen lernen, die Dinge beim Namen zu nennen. Freunderlwirtschaft ist letztendlich entweder Wirtschaftskriminalität oder klare Korruption. Verhaberung ist nicht echte Freundschaft, sondern der Missbrauch eines öffentlichen Mandats. Punkt.“

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