ANALYSE. Die Nationalratswahl stellt eine Zäsur für Österreich und die SPÖ dar. Sie ist dabei, unterzugehen.
Die Geschichte der Zweiten Republik stand lange Zeit ganz im Zeichen der Großen Koalition. Auch wenn es sie formal bei weitem nicht immer gab, existierte sie doch irgendwie. Zumindest über die Sozialpartnerschaft, die z.B. den riesigen Staatssektor namens Sozialversicherungen selbst verwaltete. Anfang der 2000er setzte jedoch auch hier ein Erosionsprozess ein. Die ÖVP begann mit Hilfe der Freiheitlichen, den Einfluss der Sozialdemokraten zu beschneiden. Bisheriger Höhepunkt ist die gerade laufende Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger. Sie geht de facto ausnahmslos zu Lasten sozialdemokratischer Arbeitnehmervertreter.
Mit dieser Nationalratswahl ist es zu einer (weiteren) Zäsur für die SPÖ gekommen: Zum ersten Mal seit 1945 konnte sie nicht ernsthaft mitspielen in der Kanzlerfrage. Nicht nur, weil sie selbst zu schwach und klein war, sondern weil sie auch keine realistische Mehrheit gegen die ÖVP von Sebastian Kurz anbieten konnte. Damit geriet sie endgültig in eine Nebenrolle.
Das Wahlergebnis hat die Misere vervollständigt, ja verschärft: Die SPÖ ist von einer Groß- zu einer Mittelpartei abgestiegen. Im ländlichen Raum hat es ihr quasi den Boden unter den Füßen weggezogen und sogar in Wien sind ihr einerseits die ÖVP und andererseits die Grünen gefährlich geworden.
Letzteres ist eine besonders bedrohliche Entwicklung für die Sozialdemokratie: Mit einer „Wiener zuerst“-Politik bemüht sich die Partei unter der Führung von Bürgermeister Michael Ludwig, sich in den Flächenbezirken gegen Rechtspopulisten zu behaupten. Das ist riskant: Was ist, wenn die Rechtspopulisten letzten Endes trotzdem den großen Zuspruch erhalten, weil sie ja die Originale sind? Dann ist gar nichts mehr da. In den zentrumsnäheren Bezirken treibt die SPÖ damit ohnehin schon viele Leute zu den Grünen.
Die Grünen sind dabei, die neuen Roten zu werden. Sie holen zunehmend das, was von der SPÖ noch übrig ist. Bei dieser Wahl waren es knapp 200.000 Wählerinnen und Wähler: Zweihunderttausend. Der Klimawandel hilft ihnen dabei.
Das ist das große Thema der Gegenwart und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit viel mehr noch der Zukunft. Vor allem Junge, die politisch eher links der Mitte stehen, berührt das in geradezu existenzieller Art und Weise. Früher wären das klassische SPÖ-Wähler gewesen. Im Unterschied zu den Grünen hat die Partei aber kein ernsthaftes Programm dazu entwickelt. Eine Leistung. Also ist die Sozialdemokratie bei unter 30-Jährigen heute nicht die Nummer eins und auch nicht die Nummer zwei oder drei, sondern die Nummer vier – hinter ÖVP und Grünen (jeweils 27 Prozent) sowie der FPÖ (20 Prozent) mit gerade einmal 14 Prozent nämlich.
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