Genossen, die ihre Partei runterziehen

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ANALYSE. Die Wiener SPÖ ist vielleicht sogar das größte Problem der Sozialdemokratie auf Bundesebene. Daran hat ihr Chef Michael Ludwig gerade unfreiwillig deutlich erinnert.

Das gibt es wohl nicht in vielen Ländern, dass gleichzeitig mehrere Interviews mit einem Politiker erscheinen. Am Samstag zum Beispiel in „Kleine“, „Presse“ und „Standard“ mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Am Abend davor war er schon in „Wien heute“ (ORF) zu sehen gewesen. Das Ganze war eher kein Zufall. Ludwig wollte offenbar etwas loswerden. Nur: Was? Es ist ein Rätsel geblieben.

Am ehesten schien es ihm ein Bedürfnis zu sein, zu betonen, dass es die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) mit ihrer Kritik am Babler’schen Wahlprogramm gut gemeint habe, wie es im „Standard“ hieß: „Sie hat zwei Dinge vorgeschlagen: zum einen, dass man sich im Wahlkampf auf weniger Themen fokussieren soll. Und zweitens, dass wir als Sozialdemokratie für unsere Ideen Gegenfinanzierungsmodelle brauchen, um glaubwürdig zu sein. Beide Anmerkungen an den Parteivorsitzenden waren unterstützend gemeint.“ Im Übrigen schien er bemüht gewesen zu sein, seinen Genossen mitzuteilen, dass es jetzt auf Geschlossenheit ankomme.

Beides hat sich Ludwig jedoch selbst verhagelt: Er machte zum Beispiel deutlich, dass ihm eine Vermögenssteuer nicht so wichtig ist wie Andreas Babler („Bei Koalitionsbedingungen bin ich zurückhaltend.“); dass ihm, ebenfalls im Unterschied zu Babler, sehr wohl aber der Bau des Lobautunnels sehr wichtig ist (bei einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung würde dieser „natürlich“ kommen, meinte er).

Außerdem sagte er nicht, was jeder Parteipolitiker wenige Wochen vor einem Urnengang sagt: Der eigene Chef sei ein Top-Mann, ja der richtige für das Kanzleramt. Er sagte auch nicht, dass dieser nach der Wahl schon wissen werde, was zu tun ist. Nein, er ließ gleich einmal wissen, dass er bei einer Regierungsbildung „hinter den Kulisse mitwirken“ werde. Was grundsätzlich logisch ist. So etwas so offen auszusprechen, untergräbt jedoch die Autorität des Vorsitzenden. Schlimmer: Auf die „Standard“-Frage, ob Finanzstadtrat Peter Hanke Vizekanzler werden könnte, antwortete er nicht, das sei kein Thema, sondern: „Personaldiskussionen führen wir noch nicht.“

Es ist kaum zu glauben, mag vielleicht sympathisch offen sein, ist in Wirklichkeit aber partei- oder zumindest kampagnenschädigend. Alles in allem wird der Eindruck verstärkt, dass Babler als Spitzenkandidat nicht einmal mehr von Ludwig ernstgenommen wird, der sich vor einem Jahr noch seilziehend und würstelessend mit ihm fotografieren ließ. Botschaft damals: „Wir sind ein Team“.

Die Wiener SPÖ ist vielleicht sogar das größte Problem der Sozialdemokratie auf Bundesebene. Begründung: Sie versteht es seit ein paar Jahren nicht mehr, ihre Macht zum Vorteil der Partei einzusetzen. 2016 hat sie sich von ein paar (zum Teil sehr kleinen) Landesorganisation ihren Werner Faymann absetzen lassen müssen und Christian Kern als Nachfolger nicht verhindern können. Mit dessen Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner hat sie sich später zwar arrangiert (bzw. diese mit ihr), dann aber nicht verhindern können, dass sie de facto von Leuten wie Hans Peter Doskozil abgesetzt wurde. Auch diesmal konnte sie keinen Nachfolger bestimmen, sondern begnügte sich damit, Babler als geringeres Übel (als Doskozil) zum Vorsitz zu verhelfen.

Die Formulierung „geringeres Übel“ ist hart, aber wohl kaum übertrieben: Es ist offensichtlich, dass sie mit der Babler’schen Ausrichtung nach Links wenig bis nichts anfangen kann. Dass ihr ein Pragmatiker lieber wäre, der von der ÖVP akzeptiert wird, sodass eine entsprechende Koalition möglich wird.

Vor diesem Hintergrund verhält sie sich jedoch unsäglich: Sie trägt mit dem Bures-Urteil zum Wahlprogramm und den eigentümlichen Ludwig-Aussagen dazu bei, dass die SPÖ eher noch weniger attraktiv wirkt für Wähler, dass sie also geschwächt aus dem Urnengang hervorgehen könnte. Außerdem agiert sie tollpatschig im Hinblick auf ihren Wunsch „Große Koalition“. Sie lädt die ÖVP, die der FPÖ näher ist, geradezu ein, sie vorzuführen und zu demütigen nach der Wahl; bei wochenlangen Verhandlungen ein Zugeständnis nach dem anderen zu erreichen („Ok, keine Vermögenssteuer“ etc.) und dann kurz vor dem Abschluss einen Grund zu finden, doch nicht mit ihr zusammenzugehen.

Wer eine „Große Koalition“ will, muss eine Erzählung dafür finden, die so großartig wirkt, dass sich eine ÖVP schwertut, sich einer solchen zu entziehen. So jedoch wird das eher fatal enden für die SPÖ.

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