Geht sich nicht aus

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ANALYSE. Die ÖVP will von den Freiheitlichen ein klares Bekenntnis zur EU. Kickls Antwort: Ausstieg aus dem Integrationsprozess.

Der geschäftsführende ÖVP-Chef Christian Stocker ist um zwei Dinge bemüht: Erstens, sich nicht anmerken zu lassen, wie schlecht die Position seiner Partei bei den Koalitionsverhandlungen mit Herbert Kickl (FPÖ) ist, nachdem sie zunächst mit Grünen und dann mit Sozialdemokraten gebrochen hat, sich also anderer Optionen beraubt hat. Zweitens, wenn schon, denn schon so zu tun, als kämpfe er wirklich um Dinge wie Europapolitik.

Dazu schritt er vergangene Woche sogar zum Unüblichen, nämlich einer Pressekonferenz mit geladenen Journalisten, um bei laufenden Verhandlungen ein paar Pflöcke einzuschlagen. Wobei schwer zu sagen war und ist, was er damit eigentlich bezwecken wollte: Vorbauen auf das schier Undenkbare, nämlich ein Nichtzsutandekommen von Blau-Schwarz?

Unter anderem meinte Stocker, so wie sich die SPÖ aus seiner Sicht zur Mitte hätte bewegen müssen, damit eine „Große Koalition“ möglich geworden wäre, so müsse sich die FPÖ jetzt vom rechten Rand zu Mitte bewegen. Sonst gehe sich das mit der Zusammenarbeit nicht aus.

Vergleichbares ist in all den Fällen, in denen bisher über eine Koalition verhandelt wurde und es dann auch zu einem Abschluss kam, nicht erinnerlich. Schon gar nicht bei Schwarz-Blau 2000 und Schwarz-Blau 2017. Da ging es ruck-zuck ohne irgendwas.

Diesmal sind die Rahmenbedingungen selbstverständlich andere: Allein der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der Umgang von Herbert Kickl damit machen es ungleich schwerer, ruck-zuck zu einer Koalition zu kommen. Abgesehen davon muss die ÖVP allein schon aufgrund der misslichen Lage, in der sie sich befindet, zeigen, dass das auch für sie keine einfache Sache ist. Sonst wäre Selbstaufgabe ein Hilfsausdruck.

Also verlangt Stocker, dass es in einer allfälligen Koalition zu einer Selbstverpflichtung beider Seiten kommt, sich in der Europapolitik immer abzustimmen. Hintergedanke: Sie könnte die FPÖ an die kurze Leine genommen werden. In jedem Fall müsse sie vorab ein klares Bekenntnis zur EU ablegen.

Die Reaktion von Kickl, der zwischendurch per Video auf einer Veranstaltung der deutschen AfD auftritt, um sie, die einen EU-Austritt ihres Landes fordert, als Partnerin zu bezeichnen, ist typisch: Er tut so, als wäre es selbstverständlich, dass Blau-Schwarz allenfalls geeint auftreten werde. Das sei ja nicht Schwarz-Grün, wo Klimaschutzministerin Leonore Gewessler bei der Renaturierung allein tat, was sie für richtig hielt.

Vor allem aber schrieb Kickl auf Facebook, quasi als Antwort auf Stocker: „Österreich wird künftig keine weiteren Kompetenzerweiterungen der EU mehr unterstützen und sich aktiv für die Rücknahme bereits erfolgter Fehlentscheidungen, wie der Schuldenunion, einsetzen.“ Was das heißt: Es ist kein Ausstieg aus der EU, aber ein Ausstieg aus dem, was sie ist: der Stand eines Integrationsprozesses.

Die EU ist nie fertig. Gerade im Jahr 2025, in dem Europa von Westen (Donald Trump) und von Osten her (Wladimir Putin) unter Druck gerät, stellt sich die Frage, wo sie gestärkt werden sollte. Zum Beispiel in der Sicherheitspolitik. Da ist das, was Kickl feststellt, ein klares Statement: Wir wollen, dass die EU allen bestehenden und kommenden Herausforderungen nicht gerecht werden kann und daher früher oder später implodiert.

Wird spannend, wie Stocke darauf reagiert. Ignorieren kann er’s nicht. Er hat die Auseinandersetzung im Rahmen der Koalitionsverhandlungen eröffnet, Kickl hat sie weitergetrieben.

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