„Früchtchen“

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ANALYSE. Die Grünen und Lena Schilling haben sich einiges vorzuwerfen. Der Umgang mit der 23-Jährigen wird jedoch widerwärtig. Woher das kommt und wie gefährlich das ist.

Bei den Grünen und bei Lena Schilling sowie bei dem, was ihr vorgeworfen wird, geht es um sehr viele Dinge, die politisch relevant sind: Wie kann eine Partei, die vorgibt, Europa vor zerstörerischen Kräften schützen zu wollen, mit einer europapolitisch Unbedarften in die Europawahl ziehen? Wie kann die 23-Jährige noch erwarten, dass man ihr politisch vertraut, wenn sie eingestehen muss, über Mitmenschen – aus welchen Gründen auch immer – üble Geschichten verbreitet zu haben? Wie kann Werner Kogler derlei als „Gefurze“ abtun?

Es gibt im Übrigen Leute, die finden, dass man bei den Grünen ein bisschen strenger sein darf, weil sie Schilling mit „Herz“ plakatieren, was ein Widerspruch zu den Inhalten sei, die ihr mehr oder weniger konkret vorgehalten werden. Das ist jedoch Unsinn: Man sollte grundsätzlich-prinzipiell bleiben. Weil Herbert Kickl eine Fahndungsliste für Andersdenkende will, wird man das umgekehrt ja auch nicht für ihn fordern. Es genügt, deutlich zu machen, wie sehr er sich disqualifiziert.

So ähnlich ist das jetzt bei Schilling. Die Tageszeitung „Der Standard“, die vor einer Woche erstmals über die Vorwürfe berichtet hat, übt sich in maximaler Zurückhaltung. Schreibt eher gar nichts mehr dazu. Nicht einmal Einordnungen zu dem, was sich da tut. Andere haben übernommen. Aber wie: Gratiszeitung unterbietet Gratiszeitung. „Österreich“ ist mit seiner Schlagzeile vom Dienstag, wonach es eine „Anzeige wegen Verleumdung“ gegen Schilling gebe und die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe prüfe, fast seriös im Vergleich zu „Heute“, das gleichentags auf Seite 1 feststellt: „Affäre Schilling: Jetzt ermittelt die Justiz. Er steht Verleumdung im Raum. Sogar Haft droht.“

Die 23-Jährige könnte bald in einer Zelle schmoren? So soll man es wohl verstehen. Sache ist: Ein Jus-Student habe eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht und diese werde nun von der Staatsanwaltschaft Wien geprüft, wie die Zeitung im Kleingedruckten eingesteht. Punkt, aus, fertig. Alles weitere kann sich abhängig von weiteren Schritten ergeben oder auch nicht. Es kann zu einer Haft kommen oder auch nicht einmal zu einer Anklage. So funktioniert Boulevard.

Das Problem in diesem Fall ist diese unheimliche Dynamik. Einmal „Schilling“ im Titel bringt unendlich viele Klicks. Es reicht, wenn da steht, dass ihr „sogar Haft droht“. Es ist wirklich unheimlich, was da läuft: Es gibt immer wieder Persönlichkeiten, die polarisieren, die eine Masse für und eine Masse gegen sich haben und die kaum jemanden unberührt lassen. Solche Leute, von Jörg Haider bis Sebastian Kurz, sind für Medien ein Hit. Man muss nur ihren Namen erwähnen und schon wird die Geschichte gelesen.

Es sind – auf ihre Weise – Ausnahmeerscheinungen. Auch Lena Schilling ist eine solche. Politisch wie gesagt unbedarft. Eine „Heranwachsende“, wie Hubert Patterer in der „Kleinen Zeitung“ geschrieben hat. Das ist treffend. Es führt aber auch zu etwas, was gefährlich ist.

Zunächst aber die Großwetterlage: Politisch ist die Stimmung aufgeladen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Multiple Krisen, maximale Unsicherheiten, hunderttausende Wähler, die sich von Kurz viel erwartetet haben und heute umso enttäuschter sind.

Zweitens: Klimaaktivisten, die oft lästig und manchmal laut sind. Die keinen Wert darauf legen, sympathisch zu wirken und beliebt zu sein. Die gerne den Eindruck vermitteln, das Leben aller umkrempeln zu müssen. Sehr unangenehmen diese Typen.

Drittens: Vor diesem Hintergrund Grüne mit Lena Schilling. Feindbilder der Rechten und von mehr. Kann es sein, dass besonders jetzt nicht wenige die beiden so richtig fallen sehen wollen? Auch, um sich abzureagieren oder von den wirklich weltbewegenden Ereignissen rundherum abzulenken?

Bei Gerald Grosz, dem Rechten, der bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 nicht den freiheitlichen Kandidaten Walter Rosenkranz unterstützte, sondern selbst antrat, um ebenfalls um rechte Stimmen zu buhlen, auf X gerade die Beschimpfung gelesen, dass Lena Schilling ein „Früchtchen“ sei. Als solches gilt im Extrem ein freches, unerzogenes, ja unerträgliches Geschöpf, dem man in gewissen Kreisen einst gerne eine g’sunde Watschn gegeben hat oder bei dem man gehofft hat, dass es auf die Gosche fällt und büßt bzw. „dazulernt“.

Möglicherweise ist diese Hoffnung jetzt auch bei Schilling vorhanden. Nur, dass es schlimmer ist: Hier geht es längst nicht mehr um politische Abhandlungen; hier geht es um eine Wucht, bei der man nichts mehr ausschließen kann, auch nicht die Vernichtung einer Persönlichkeit.

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