ANALYSE. Die Freiheitlichen werden übermütig: Sie wissen, dass sich Sebastian Kurz an ihnen orientieren muss.
Nach diesem Bundesparteitag der FPÖ wird der ÖVP-interne Druck auf Sebastian Kurz, nach der Wahl die Finger von der bisherigen Koalition zu lassen, wohl noch größer werden. Norbert Hofer und Herbert Kickl haben Gefallen gefunden am gemischten Doppel: Der eine gibt sich staatstragend, der andere hetzerisch. „Die, die du nicht niederclinchst in deiner Art, die kriegen von mir eine Gerade oder einen rechten Haken“, rief Kickl an Hofer gewandt. Ein bisschen zu heftig? Ja? Hinterher lässt Hofer wissen, dass solche Äußerungen eh nur satirisch gemeint seien.
Für Kurz ist das so oder so sehr unangenehm: Zumal Kickl auf dem FPÖ-Parteitag auch noch zum stellvertretenden Obmann gewählt wurde, wird er weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Da wird die Koalitionsbedingung „kein Innenminister Kickl“ fast schon lächerlich gemacht: Kickl gibt’s im besten Fall nur in einer anderen Funktion.
Das freiheitliche Selbstbewusstsein kann nicht überraschen: Die EU-Wahl vor dem Sommer hat die Partei trotz Ibiza recht passabel geschlagen aus ihrer Sicht. Und zwar nicht, weil sie sich reuig gezeigt hätte (was sie nicht getan hat), sondern indem sie „Jetzt erst recht“ gerufen hatte. Und Kickl mag in weiten Teilen der Wählerschaft unten durch sein, im Juni schenkte ihm laut APA/OGM-Index aber noch immer ein Viertel ihr Vertrauen. Ein Viertel, wohlgemerkt: Wenn es der Partei gelingt, dieses Potenzial auszuschöpfen, verliert sie einmal mehr kaum
Das Tragische für die politische Kultur ist, wie die Kickl-FPÖ zu so vielen Hardcore-Anhängern gelangt ist: Nicht mit ausländerkritischer, sondern mit ausländerfeindlicher Politik. Siehe „Ausreisezentren“ und 1,50 Euro-Jobs für Asylwerber. Oder nun eben die Rede von einer „Triple-A-Bewertung“ für „Aggressive Afghanische Asylwerber“.
Die Tragik vervollständigt wird jedoch erst dadurch: Diese FPÖ hat beste Chancen, die treibende Kraft der österreichischen Politik zu bleiben. Der 2017er Erfolg von Sebastian Kurz basierte darauf, dass er sich das angeeignet hat, was er heute als „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“ bezeichnet. Das sind FPÖ-Ansagen in anderen Worten. „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ beispielsweise. Damit hat Kurz nicht nur 168.000 Ex-FPÖ-Anhänger gewonnen, sondern auch ehemalige Wähler von Parteien, die in einem gewissen Verwandtschaftsverhältnis zur FPÖ standen: 114.000 vom Team Stronach und 44.000 vom BZÖ. In Summe entsprach das sechseinhalb Prozentpunkten. Sprich: Ohne sie wäre die neue ÖVP vor zwei Jahren nicht auf 31,5, sondern nur auf 25 Prozent gekommen.
Der Wettbewerb um diese sechseinhalb Prozentpunkte ist nicht zu Ende ist. Im Gegenteil: Die FPÖ hat sie nicht aufgegeben, Kurz kann nicht anders, als sie weiterhin zu umwerben. Sonst sind sie weg.
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Was im Übrigen auch erklärt, warum Schwarz-Grün oder Schwarz-Grün-Pink schwer bis unmöglich ist für die neue Volkspartei. Damit würde sie riskieren, diese Wähler zu verlieren. Und genau damit spekuliert die FPÖ, wenn sie dieser Tage vor Schwarz-Grün warnt und behauptet, dass Kurz ohne sie nach links kippen würde – das sind direkte Botschaften an hunderttausende Mitte-Rechts-Wähler, auf Nummer sicher zu gehen und blau zu bleiben oder wieder zu werden.