Eine neue Antwort auf Kickl

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ANALYSE. Im Umgang mit der FPÖ wäre die SPÖ gut beraten, ihren „Wertekompass“ zu entstauben und die ÖVP, vergleichbares vorzulegen.

Die FPÖ sagt „Danke“: Nachdem Türkise und Rote gerade wieder eine Regierungszusammenarbeit mit Herbert Kickl ausgeschlossen hatten, verlautbarte FPÖ-TV gegenüber der eigenen Anhängerschaft sinngemäß, dass sich hier nur bestätige, wie wichtig es sei, eine echte Demokratie mit einem Volkskanzler zu schaffen. Das ist ein Problem, das man nicht unterschätzen sollte: Wer Stellung gegen Kickl bezieht, muss immer berücksichtigen, dass er das längst einkalkuliert hat und dazu nützt, für sich selbst zu mobilisieren.

Oder: Rund 30 Prozent der Wählerschaft nehmen eine FPÖ mit Kickl hin, obwohl die ÖVP schon seit Monaten „Sicherheitsrisiko!“ ruft. Das schreckt diese Leute nicht. Die FPÖ bleibt trotzdem auf Platz eins.

Schon ausgeführt worden ist auf diesem Blog ein Dilemma, das im Grunde genommen beide ehemaligen Großparteien betrifft: Wenn sie sich gegen Kickl und/oder die FPÖ stellen, riskieren sie auch, dessen (derzeitigen) Anhänger gegen sich aufzubringen. Eine Folge davon wäre, dass sie bei kaum mehr als 20 Prozent liegen bleiben würden. Bei der ÖVP geht es um Leute, die Sebastian Kurz vor allem 2019 dazu gebracht hat, türkis zu wählen; und bei der SPÖ um Männer und Frauen, denen die Teuerung zu schaffen macht und die Andreas Babler umwirbt.

Eine Zusammenarbeit mit Kickl und/oder der FPÖ ausschließen, ist das eine. Es so weit bringen, dass die Partei ein weniger gutes Wahlergebnis erzielt als erwartet und man selbst ein besseres als man sich derzeit erhoffen kann, das andere. These: Das wird man eher erreichen, wen man die Auseinandersetzung auf eine andere Ebene bringt. Eine inhaltlich-prinzipielle.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat in einem Interview mit der „Presse“ gerade gefordert, eine Koalition mit der FPÖ „nicht per se“ auszuschließen, sondern den Wertekompass zur Entscheidungsgrundlage zu machen.

Der Kompass ist von der SPÖ im Sommer 2017 unter dem damaligen Vorsitzenden Christian Kern erstellt worden. Er sagte damals, dass man sich an keinen weiteren Spekulationen über diverse Koalitionsvarianten beteiligen werde. Selbstbewusster Zusatz: Maßgebend sei der Kompass, es liege an den anderen Parteien, ihm zu entsprechen oder nicht. Kern hat damit den Spieß umgedreht: Er hat nicht festgestellt, mit wem eine Zusammenarbeit (un-)möglich ist, sondern sinngemäß erklärt, „die Mitbewerber müssen sagen, ob sie mit uns auf Basis ganz bestimmter Kriterien können wollen oder nicht“. Es ist ein Beitrag dazu, der plumpen „Wir werden ausgegrenzt“-Masche von Kickl und Co. entgegenzuwirken.

Dieser Wertekompass aus Kerns Zeiten gehört entstaubt. Viele Punkte sind zeitlos: Vom Bekenntnis zu Verfassung, parlamentarischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über Gleichstellung der Geschlechter bis Förderung von Kunst und Kultur. Im Übrigen wird der geänderten Sicherheitslage in Europa und notwendigen Antworten darauf aus sozialdemokratischer Sicht aber (noch) nicht Rechnung getragen. Das wär nachzuholen. Ein bloßes Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität reicht da nicht. Ein solches würde Kickl jederzeit liefern – mit einem ganz anderen Grundverständnis jedoch. Stichwort Festung Österreich.

Bei der ÖVP, die gerade sehr viel von Werten redet, fehlt ein vergleichbares Dokument überhaupt. Das ist Ausdruck ihrer größten Schwäche: Sie hat eher ein Problem mit der Person Herbert Kickl, aber nicht so sehr mit dessen Inhalten. Im Gegenteil, bei vielem, ob „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ oder Gender-Verbot, würde man sich treffen.

Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass so viele Wähler „Warnungen“ vor einem Sicherheitsrisiko namens Kickl nicht einmal ignorieren. Es ist nur begrenzt glaubwürdig.

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