Der Präsident als Passagier

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ANALYSE. Der Altkanzler hat bereits signalisiert, wie er wieder Regierungschef werden möchte. Van der Bellen kann nur zuschauen. Und aus Schwarz-Grün kann so nebenbei nichts werden.

Der Bundespräsident könnte bei einer Regierungsbildung sehr großen Einfluss nehmen. Nein, damit ist jetzt nicht Thomas Klestil gemeint; er hat’s 2000 ja nur versucht, ist jedoch kläglich gescheitert. Es gibt ein anderes Beispiel: Wilhelm Miklas, Amtsinhaber von 1928 bis 1938, erteilte nicht einem Vertreter der mandatsstärksten Sozialdemokraten den Regierungsbildungsauftrag, sondern einem Christdemokraten; und auch bei diesen nahm er 1930 nicht den Chef, sondern mit dem Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender einen Mann, dem eine mäßigende Wirkung zugeschrieben wurde. Freilich: Systembedingt hat das Parlament mitspielen müssen. Sonst hätte Miklas das nicht tun können.

Das Beispiel soll unterstreichen, dass Alexander Van der Bellen in den nächsten Wochen und Monaten eine führende Rolle spielen könnte. Könnte, wohlgemerkt: Schon im Zusammenhang mit dem Regierungsbildungsauftrag an Sebastian Kurz hat dieser deutlich gemacht, dass Van der Bellen nur Passagier sein wird.

Der ÖVP-Chef denkt nicht daran, der inhaltlichen Prioritätensetzung des Staatsoberhaupts (Klimakrise, Justizsanierung, Wirtschaftsflaute) nachzukommen. Wozu er selbstverständlich auch nicht gezwungen ist. Es ist nur ein Signal, das von allem Anfang an zeigt, wer die Richtung bestimmt und wohin es gehen soll: Für Kurz haben die Bewältigung der Wirtschaftsflaute, weitere Steuerentlastungen sowie Migration Vorrang. Das Klima kommt erst danach. Der 33-jährige hat die präsidialen Wünsche quasi spiegelverkehrt. Wobei man jetzt natürlich streiten kann, ja sollte, was wichtiger ist. In dieser Form präsentiert ist jedoch klar, dass Sebastian Kurz seiner Wahlkampflinie treu bleibt: Die „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“ soll trotz dieses Wahlergebnisses fortgesetzt werden. Das grenzt schon an eine indirekte Absage an Schwarz-Grün.

Kurz muss klar sein, dass der einzige Partner für die Mitte-Rechts-Politik (die FPÖ) eingebrochen ist. Und dass er sich daher um Partner Mitte-Links bemühen muss, wenn er Van der Bellens Auftrag nachkommen will, eine „rot-weiß-rote Regierung“ zu bilden. Und zwar durch irgendwelche Signale. Auch wenn es mit den ÖVP-Zugewinnen in der Tasche besonders schwerfallen mag.

Sebastian Kurz unterlässt das nicht nur, er ist schon einen Schritt weiter: Es will gleich ausloten, was mit wechselnden Mehrheiten auf parlamentarischer Ebene möglich wäre. Klar kann das nur als Test verstanden werden, ob eine Minderheitsregierung funktionieren könnte.

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Da kann der Bundespräsident nur zuschauen. Kurz den Regierungsbildungsauftrag entziehen? Achtung, Achtung: Die ÖVP-Strategie ist bereits erprobt. Nachdem eine parlamentarische Mehrheit Kurz und Co. vor dem Sommer das Misstrauen ausgesprochen hatte, lief sie auf „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden.“ Das lässt sich wiederholen – und auch wenn es nur irgendwo im Hintergrund in der sogenannten Drohkulisse steht, kann das schon seine Wirkung entfalten.

Sebastian Kurz hat sich nach Ibiza und durch das Nationalratswahlergebnis in eine so starke Position gebracht, dass ihm kaum jemand etwas anhaben kann. Eine parlamentarische Mehrheit gegen ihn und seine ÖVP, schon gar nicht; das ist soeben erst voll zu seinen Gunsten ausgegangen.

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