ANALYSE. Die Schützenhilfe für Faymann gegen parteiinterne Kritiker erreicht eine neue Qualität. Damit wird jedoch auch ein Prozess in Gang gesetzt, der ihm gar nicht recht sein kann.
Wer diesen Freitag österreichische Tageszeitungen liest, muss sich immer wieder versichern, dass es sich wirklich um die aktuelle Ausgabe handelt. So unterschiedlich sind die Prioritätensetzungen: Blätter wie „Die Presse“ und „Der Standard“ widmen sich groß dem „offenen Angriff“, der sich auf einer SPÖ-Klausur in Wien auf den dort anwesenden Bundeskanzler und Parteivorsitzenden Werner Faymann ereignet hat: Fünf Studenten protestierten da gegen seine Flüchtlingspolitik. Dem Boulevard dagegen ist das allenfalls eine Randnotiz wert. Die „Krone“ beschränkt sich gar auf einen Satz: Faymann musste demnach „seine strenge Flüchtlingsplitik vor zornig protestierenden Jung-Sozialisten verteidigen“.
Dass die Bedeutung, die Zeitungen einem Ereignis einräumen, unterschiedlich ist, kommt vor. In diesem Fall jedoch ist es in dreifacher Hinsicht bemerkenswert:
- Auf der einen Seite stehen die Qualitäts-, auf der anderen die Boulevardzeitungen, die Faymann schon seit Wochen in seiner neuerdings „strengen Flüchtlingspolitik“ bestärken.
- Eine Aktion von fünf Funktionären muss nicht weiter relevant sein. In diesem Fall ist es sie aber, weil Faymann in einem Redebeitrag direkt darauf einging und darum bat, Tafeln mit Aufschriften wie „Abpfiff für Faymann!“ verschwinden zu lassen; sprich, er gab der Sache selbst einen höheren Stellenwert.
- Die „Kronenzeitung“ und „Österreich“ stellten ein andere Ereignis in den Vordergrund: Die öffentliche Beschwerde von Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner über den Soloauftritt, den der ORF Werner Faymann im „Zentrum“ am kommenden Sonntagabend zugesteht. Laut „Österreich“ hat Mitterlehner damit das ZiB2-Interview, in dem er seinen Unmut äußerte, „gesprengt“. Wobei durch einen zusätzlichen Artikel ein unrühmliches Motiv unterstellt wird: „ÖVP kämpft um Macht im ORF.“ Claus Pándi geht in der „Krone“ freilich noch weiter und stellt fest, dass Mitterlehner „nach TV-Blamage vor seinem politischen Ende“ steht. Ja, Außenminister „Super-Basti“ Kurz stehe bereits in den Startlöchern.
Die Geschichte ist damit wohl noch nicht zu Ende. Fortsetzung folgt: SPÖ-intern muss der Gleichschritt von Faymann und dem Boulevard nicht nur gut ankommen; im Gegenteil, der Umgang mit der vorhandenen Kritik am Flüchtlingskurs muss zumindest für aufgeklärte Sozialdemokraten befremdlich sein.
Ein Obmannwechsel könnte Faymann gar nicht recht sein. Gegen Kurz tut er sich nämlich wesentlich schwerer als gegen Mitterlehner.
In der ÖVP wiederum bekommt Mitterlehner ein Problem: Dass er von „Krone“ und Co. derart vorgeführt wird, mag zu einem Mitleidseffekt führen. Schlimmer aber noch ist, dass er mit seiner in einer Live-Sendung getätigten Unmutsäußerung über den ORF vor Zehntausenden etwas eingestanden hat, was ihm letzten Endes als Schwächezeichen ausgelegt werden muss: Während Faymann seine Wünsche im öffentlich-rechtlichen Sender durchsetzen kann, hat er das Nachsehen.
Das könnte eine ÖVP-Obmanndebatte tatsächlich beschleunigen, an deren Ende ein Sebastian Kurz als neuer Parteichef und Spitzenkandidat für die nächsten Nationalratswahlen steht. Und das kann sich Werner Faymann nicht wünschen; gegen den 29-Jährigen tut er sich nämlich wesentlich schwerer als gegen Mitterlehner.