Demokratie-Demontagepartie

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ANALYSE. Die FPÖ überschreitet immer wieder Grenzen. Zu befürchten hat sie nichts. Das muss sich ändern: Wie Herbert Kickl noch gestoppt werden könnte.

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat Österreich zur „Diktatur“ erklärt. Anlass: Die Ankündigung der Regierungsparteien, eine Impfpflicht einzuführen. Das ist insofern bemerkenswert, als eine solche mit 1. Februar nach eingehenden Verhandlungen, Begutachtungsverfahren und parlamentarischer Beschlussfassung in Kraft treten soll. Und dass man dann natürlich den Verfassungsgerichtshof anrufen kann. Von Leuten wie Kickl wohl mit der Behauptung, dass „der Impfzwang“ verfassungswidrig sei. Ausgang offen.

All das wäre in einer Diktatur undenkbar. Kickl weiß das. Dass er trotzdem so spricht, wie er es tut, wenn er auf einer Kundgebung etwa auch ein „narrisches Regime“ ortet und die Regierung „vor die Hunde“ wünscht, entspricht freiheitlicher Gepflogenheit: Es geht darum, die Auseinandersetzung zu entrücken; sie auf eine demokratiefeindliche und damit auch schon gefährliche Ebene zu bringen.

Vor fünf Jahren, in Folge der Flüchtlingskrise, warnte der damalige FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache vor einem Bürgerkrieg. Wörtlich sagte er: „Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten, die in unsere Sozialsysteme einsickern, wird aber unser von Solidarität und Zusammenhalt getragenes gesellschaftliches Gefüge in seinen Grundfesten erschüttert und macht mittelfristig einen Bürgerkrieg nicht unwahrscheinlich.“

These: Das hat Strache gemacht, um Wählerinnen und Wähler zu beunruhigen und die Nachfrage nach einem wie ihm bzw. die Sehnsucht nach autoritären Maßnahmen zu stärken. Das liegt auf der Hand: „Bürgerkrieg“ ist ein Codewort, das nach Maßnahmen schreit, bei denen Menschenrechte, Demokratie und dergleichen keine Rolle spielen.

Konsequenzen hatte die Wortwahl nicht. Im Gegenteil, die ÖVP von Sebastian Kurz holte die Freiheitlichen 2017 in die Regierung, Strache wurde Vizekanzler und Herbert Kickl durfte behaupten, dass Recht der Politik zu folgen habe. Wobei es nicht zufällig um Flüchtlinge ging.

All das erinnert an eine noch ältere Geschichte: Straches Vorgänger an der Spitze der FPÖ, Jörg Haider, forderte in den 1990er Jahren eine „Dritte Republik“, die ganz auf einen starken Präsidenten ausgerichtet war. ÖVP-Chefideologe Andreas Khol sah Haider zu jener Zeit außerhalb eines Verfassungsbogens. Am 4. Februar 2000 holte die Volkspartei nichtsdestotrotz die Freiheitlichen in die Regierung, um mit ihrer Hilfe den Kanzler (Wolfgang Schüssel) stellen zu können. Das Bogen war sozusagen situationselastisch.

Und heute? „Derzeit“ sei die FPÖ nicht regierungsfähig, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Sonntagabend im Interview mit ORF und Puls 4. Sein Glück: In absehbarer Zeit gibt es keine Neuwahlen, muss er das nicht beweisen. Andererseits aber koalieren Schwarz-Türkise in Oberösterreich weiter mit den Freiheitlichen, inkl. Absage an eine Impfpflicht (auf diesbezüglich belangloser, landesgesetzlicher Ebene); und das, obwohl Kickl auf Einladung der örtlichen Blauen als Scharfmacher am vergangenen Landtagswahlkampf beteiligt war.

Das führt zum Problem in seiner ganzen Größe: Freiheitliche versuchen sich als Demokratie-Demontagepartie. Das Codewort „Diktatur“ steht – wie der Bürgerkrieg – für einen Ausnahmezustand, der fast alle Mittel und Wege recht machen soll. Wobei es erst losgeht: Mehr denn je muss man davon ausgehen, dass die Pandemie nicht gemeistert ist, sondern noch länger Beschränkungen und/oder Auffrischungsimpfungen notwendig sind; dass auf den auslaufenden vierten ein fünfter Lockdown folgen könnte. Das kommt Kickl ebenso entgegen wie Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), die im Ö1-Interivew meinte, dass er „eigentlich mittlerweile Blut an den Händen hat“. Für diesen Eskalationsbeitrag hat er sich insofern umgehend bedenkt, als er erwiderte, dass sie „nur Mist im Kopf“ habe.

Karl Nehammer gab sich im TV-Interview besorgt darüber, berichtete, mit der Ministerin gesprochen zu haben und forderte eine „Abrüstung der Worte“. Notwendig ist mehr: Nehammer muss nicht nur den Dialog forcieren, den er auch mit Kickl begonnen hat, sondern auch Versäumnisse der vergangenen Monate und Jahre wettmachen, die jetzt so verhängnisvoll geworden sind: Die Bandbreite reicht von Demokratie- und Rechtsstaatpflege über eine ernsthafte Impfkampagne bis hin zur Markierung unverzeihlicher Grenzüberschreitungen in der politischen Auseinandersetzung. Das hätte Aussicht auf Erfolg. Grund: So lange Freiheitliche davon ausgehen können, dass sie letztlich ohnehin immer und überall in die Regierung geholt werden, wenn’s dem schwarz-türkisen (oder 2015 im Burgenland roten) Machterhalt dient, werden sie ihrem Bundesparteiobmann alles durchgehen lassen, was Aussicht auf Wahlerfolge hat.

Soll heißen: Von außen an Kickl zu appellieren, wird wenig bringen. Bemerkenswert ist eher, dass zum Beispiel der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner, der sich gerne staatsmännisch-besonnen gibt, nicht in die Pflicht genommen wird. Immerhin trägt er Mitverantwortung: er ist FPÖ-Bundesparteiobmann-Stellvertreter.

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