ANALYSE. Die Partei hat die Jahre in der Opposition nicht genützt, um sich neu auszurichten. Mit Doskozil würde sich das kaum ändern – er gibt einer Regierungsbeteiligung den Vorrang.
Wer als neuer SPÖ-Vorsitzender aus dem Bundesparteitag am 3. Juni hervorgehen wird, ist nicht zu sagen. Es geht ja um viel mehr als „Links“ oder „Rechts“, Marxismus oder was auch immer. Es könnte zum Beispiel Genoss:innen geben, die den burgenländischen Kandidaten Hans Peter Doskozil gut finden, aber den niederösterreichischen Kandidaten Andreas Babler wählen, weil sie Doskozil nicht verzeihen, wie er mit Pamela Rendi-Wagner umgegangen ist. Oder Delegierte, die mit Babler sympathisieren, aber glauben, dass Doskozil die Partei eher zurück in die Regierung führen könnte – was ihnen letzten Endes wirklich wichtig ist.
Tatsächlich lautet das Duell ein bisschen Fundi vs. Realo, wie man bei den Grünen einst gesagt hätte. Doskozil ist der Machtmensch, der schaut, wie die Stimmung in der Bevölkerung und die Mehrheitsverhältnisse auf parlamentarischer Ebene sind – und der sich letzten Endes vor allem danach ausrichtet, um es für die SPÖ zu einem möglichst großen Stück des Kuchens bringen zu können.
Schwer tut er sich nicht damit. Und zwar in dem Sinne, als er Hemmungen überwinden müsste. Zum einen entspricht die Mitte-Rechts-Tendenz, die eher von einem ländlichen Österreich ausgeht, durchaus ihm persönlich. Zum anderem kann man zweifeln, ob er ideologisch sattelfest ist. Linkspopulistische Sozialpolitik liefert keinen Hinweis darauf.
Doch sei’s drum: Doskozil steht für eine SPÖ, der es um Machtrückgewinnung geht, und die sich dafür mit der ÖVP und Teilen der FPÖ arrangieren kann. Der Partei könnte das eher das Kanzler- oder allenfalls Vizekanzleramt bescheren. Das ist nicht nichts, sondern sehr viel.
Sie selbst würde aber weiter ausbrennen, wie die ÖVP, von der 2017 so wenig übrig war, dass sie sich ganz dem türkisen Projekt von Sebastian Kurz übergeben hat. Zumal sie, die SPÖ, die Zeit in der Opposition seit 2019 nicht genützt hat, um sich neu auszurichten.
Diese Leere erklärt den erheblichen Zuspruch, den Andreas Babler genießt. Der Mann würde eine traditionelle Sozialdemokratie, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, wiederauferstehen lassen. Er steht für einen starken Staat, der Vermögende zur Kasse bittet und noch mehr umverteilt, der soziale Netze dichter knüpft, Kinderbetreuung und Bildung ausbaut, Frauenpolitik wieder einen größeren Stellenwert einräumt etc.
Babler steht dafür, dass die SPÖ beginnt, nach vielen Jahren, in denen sie das wenig bis gar nicht gemacht hat, an sich selbst zu arbeiten. Was will sie? Wofür steht sie? Das ist ein überfälliger Klärungsprozess, der nicht nur für sie, sondern für die gesamte österreichische Innenpolitik wichtig ist, dem sich vor allem auch die ÖVP endlich stellen sollte.
Auch wenn der Preis sehr hoch sein kann: Zunächst kann es bedeuten, dass nach der nächsten Wahl Blau-Türkis mit einem Kanzler Kickl kommt. Vor allem, wenn dieser Urnengang schon sehr bald stattfindet und die SPÖ ihren Prozess dann noch nicht abgeschlossen hat. Im Übrigen kann Babler scheitern. Dass er in einem Interview erklärte, ein Marxist zu sein und sich umgehend gezwungen sah, das zurückzunehmen, ist insofern alarmierend: So etwas darf nicht drei Mal passieren. Es wirkt für zu viele Menschen zu irritierend.
Andererseits aber wird sich eine SPÖ, die allein darauf ausgerichtet ist, ins Kanzleramt zurückzukehren und dafür auch bereit ist, von vornherein türkise und blaue Inhalte zu kopieren, auf Dauer wohl so oder so selbst gefährden. Sie lebt dann allein von einem Spitzenmann, der gut ankommt. Ihr fehlt dann, was sie auch unabhängig von einem solche zumindest als Mittelpartei tragen würde: ein eigener, unverwechselbarer Inhalt.
1 Comment