Integration: Lust am Problem

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ANALYSE. Empörung über türkische Nationalisten, die in Österreich den Wahlsieg Erdogans feiern, ist notwendig – bei Ministerin Raab und FPÖ-Chef Kickl jedoch unglaubwürdig.

Die Grünen wollen sich nichts vorwerfen lassen. Sie, denen das gerne unterstellt wird, drücken kein Auge zu. Konkret, wenn auf den Straßen Wiens von türkischen Staatsangehörigen der Wahlsieg von Recep Tayyip Erdogan gefeiert wird und Rechtsextreme dabei den verbotenen „Wolfsgruß“ zeigen. „Von Demokratie, Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit profitieren – aber gleichzeitig für die Verfolgung von Andersdenkenden, Rechtsextremismus und Ausgrenzung in der Türkei stimmen, zeugt von einem kruden Verständnis von Demokratie“, twitterte Grünen-Menschensprecherin Berivan Aslan noch am Wahlabend zu Bildern aus der Bundeshauptstadt.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) ortete wiederum „vom Ausland importierten Nationalismus“, der das Gegenteil von Integration sei und „bei uns keinen Platz“ habe. FPÖ-Chef Herbert Kickl widerspricht dem zwar (natürlich) nicht, meint aber, dass „die Dreistigkeit der Fanatiker das Ergebnis der Schwäche von SPÖ und ÖVP und auch das Ergebnis von jahrzehntelangen Versäumnissen beim Thema Integration“ sei.

Darüber kann man sich wundern. Gerade dann, wenn man Erdogan ebenso ablehnt wie Rechtsextreme, die für ihn auf die Straße gehen in Österreich; und wenn man sich ernsthaft auf die Suche nach Antworten auf die Frage begeben möchte, warum er hierzulande – mit 74 Prozent – auf eine große Mehrheit gekommen ist bei seiner Wiederwahl.

Aber an einer ernsthaften Auseinandersetzung besteht kein Interesse. Rot-weiß-rote Integrationspolitik geht es um Problemerhaltung. Wer den Zugang zur Staatsbürgerschaft möglichst schwer macht; wer Geflüchtete – geschehen unter FPÖ-Verantwortung in Niederösterreich – wie Häftlinge einsperrt; wer sie – geschehen unter Führung des amtierenden ÖVP-Innenministers – in Zelte pfercht; wer Aktionen gegen politischen Islam groß inszeniert, wie es der heutige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Rahmen einer Großrazzia gegen Muslimbrüder getan hat, die sich letzten Endes als substanzlos bzw. als Blamage erwiesen hat, der ist nicht an Integration interessiert; der sucht ausschließlich Probleme, um Politik machen zu können.

Was hat das mit den Türkinnen und Türken zu tun? Karl Nehammer hat sie im Frühjahr in seiner Rede zur Zukunft der Nation indirekt angesprochen. Als er eingestand, dass man lange gar keine Integrationspolitik betrieben hat: Es seien Gastarbeiter geholt worden, die dann wider Erwarten geblieben seien, meinte er.

Zu einem erheblichen Teil dürfte es sich um Menschen aus ländlichen Gebieten gehandelt haben, in denen Erdogan besonders viel Zuspruch erfährt. Und: Ein Teil, der nach Österreich Gekommenen dürfte nie hier angekommen sein. Im Herzen, wenn man so will. Schaut man sich die Wanderungsstatistik an, fällt jedenfalls auf, dass seit mehreren Jahren kaum mehr türkische Staatsangehörige zuwandern als abwandern. Wirft man dann einen Blick in die Bevölkerungsstatistik, fällt auf, dass die Zahl türkische Staatsangehöriger mit knapp 120.000 noch immer sehr hoch ist. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass ein guter Teil nie die Absicht hatte, Österreicher zu werden, oder irgendwann das Interesse daran verloren hat. Diese Leute sind einfach geblieben.

Ernsthafte Integrationspolitik müsste vor disem Hintergrund eine Einbürgerungsdebatte eröffnen. Das geht aber nicht. Von rechter und konservativer Seite heißt es dann immer gleich, dass die Staatsbürgerschaft ein hohes Gut sei. Eh. Aber: Sehr viele Nicht-Österreicher pfeifen darauf, Österreicher zu werden. Und die Antwort darauf muss ja nicht sein, dass man ihnen die Staatsbürgerschaft schenkt. Man könnte sogar Gegenteiliges forcieren: Erstens, eine Einbürgerung ist kostenlos und schon nach wenigen Jahren möglich, aber nur in Verbindung mit Deutsch- und Verfassungskenntnissen; diese inkludieren Aufklärung, Recht und Demokratie. Zweitens: In jedem Fall werden diese Kenntnisse in den Schulen um ein Vielfaches stärker vermittelt als bisher – damit klar wird, wo bei Erdogan das Problem ist.

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