Bluffen, bluffen, bluffen

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ANALYSE. Kickl will in absehbarer Zeit nicht wirklich regieren, und Nehammer wird nach der Wahl eher ein Problem haben.

Nur noch 48 Tage bis zur Nationalratswahl. Das Ergebnis ist offen. Darüber kann keine Umfrage und auch kein APA-Wahltrend hinwegtäuschen, bei dem durchschnittliche Umfrageergebnisse ausgewiesen werden. Zu deutlich ist bei der Europawahl geworden, wie schwer sich Meinungsforscher tun, die Stimmungslage zu erfassen.

Sagen kann man eher nur dies: Die Mehrheitsverhältnisse werden nach dem Urnengang mit größerer Wahrscheinlichkeit weniger klar sein als bisher. Trotzdem erhebt FPÖ-Chef Hebert Kickl nicht nur den Anspruch, im Falle von Platz eins für seine Partei den Regierungsbildungsauftrag zu erhalten; er gibt sich gegenüber seinen Anhängern auch schon als „Volkskanzler“ aus.

Das dienst dazu, FPÖ-Wähler zu mobilisieren, ist aber ein Bluff. Erstens: Selbst als Erster würde es Kickl nur in die Regierung schaffen, wenn sich Blau-Türkis ausgehen und auch zustande kommen würde. Zweitens: 100 Prozent seiner Vorstellungen würde er dabei als Vertreter einer 25- oder auch 30-Prozent-Partei nie durchsetzen können.

Insofern ist das, was er betreibt, durchschaubar: Er legt es darauf an, allenfalls nach der übernächsten Nationalratswahl in die Regierung zu kommen. Solange er keine, sagen wir, 37,5 Prozent für die Freiheitlichen zusammenbringt, wie es Sebastian Kurz 2019 für die ÖVP getan hat; und so lange er nicht eine vergleichsweise kleine Partei als Partnerin haben kann, die es ihm am ehesten ermöglicht, zu diktieren, wird er zwar sagen, dass er Kanzler werden möchte, aber alles tun, es nicht zu werden. Weil er eben noch kein „Volkskanzler“ sein könnte.

Beruhigend? Woher: Kickl wird die Polarisierung weitertreiben. Er wird einstweilen nicht zugeben, dass es ihm lieber ist, in Opposition zu sein. Er wird vielmehr verstärkt behaupten, dass ihn „Volksverräter“ vom Regieren fernhalten würden.

Nicht nur er blufft jedoch. ÖVP-Obmann, Kanzler Karl Nehammer tut, als könne er sich aussuchen, mit wem er nach der Wahl zusammenarbeitet: Kickl schließt er aus und mit Andreas Babler (SPÖ) hat er ebenso ein Problem wie mit Leonore Gewessler (Grüne). These: Entsprechende Botschaften dienen ihm derzeit vor allem auch dazu, Signale an Wähler auszusenden, die rechts der Mitte stehen. Erstens: Eine Stimme für die „Kickl-FPÖ“ soll als verlorene Stimme wahrgenommen werden. Zweitens: Niemand von diesen Leuten soll befürchten, dass er sich letztlich auf linke Politik oder auch weitreichenden Klimaschutz einlässt.

Das einzige Glück der ÖVP, aber auch von Nehammer ist grundsätzlich, dass es kaum eine Regierungsmehrheit gegen sie geben kann. Ihr Unglück ist jedoch, dass sie sich unter Sebastian Kurz eine rechtspopulistische Ausrichtung verpasst hat und diese weiterhin pflegt. Damit geht ein Problem für sie einher: Eine solche Ausrichtung kann sie in der Regierung längerfristig nur mit der FPÖ pflegen. Das funktioniert weder mit den Grünen, wie sie seit geraumer Zeit selbst zum Ausdruck bringt, noch mit Sozialdemokraten oder Neos.

Die FPÖ wird sich im Unterschied zu früher jedoch hüten, sich bei erstbester Gelegenheit auf ein Bündnis mit der ÖVP einzulassen. Siehe Ausführungen zu Kickl in diesem Text. Dessen „Alles oder nichts“-Strategie im Hinblick auf eine Regierungsbeteiligung ist auch getragen vom Dilemma der Volkspartei: So lange sie sich nicht neu, sozusagen wirklich zur Mitte hin, ausrichtet, braucht sie eben Freiheitliche, um konsequent rechtspopulistische Politik betreiben zu können. Anders ausgedrückt: Eine „Große Koalition“ mit Grünen oder Neos nach der Nationalratswahl am 29. September wäre eine Katastrophe für sie und ganz nach dem Geschmack von Kickl – im Hinblick auf die übernächste Wahl.

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