ANALYSE. Wenn die SPÖ auf Bundesebene noch etwas möchte in absehbarer Zeit, muss sie anfangen, über die Stadt aufzuzeigen – und etwa die unsägliche Inseratenpolitik einstellen.
Aus der Entfernung betrachtet ist es in Polen unter anderem deshalb zu einem Machtwechsel gekommen: Ein entscheidender Teil der Wählerschaft hatte die autoritäre, rechtskonservative Politik der vergangenen Jahre satt, wollte Europäer:in in einer explizit rechtsstaatlichen Demokratie sein.
In Österreich scheint es eher noch in die andere Richtung zu gehen. Auch, weil dieses Gegenmodell, das in Polen durch den neuen Regierungschef Donald Tusk verkörpert wird, kaum sichtbar ist. Anders ausgedrückt: Wen wählt, wer proeuropäisch, weltoffen ist, wem saubere demokratische Verhältnisse wichtig sind? Am ehesten kommen Neos und Grüne dafür in Frage.
Die türkise Volkspartei will es nicht tun. Sie hat sich Rechtspopulismus verschrieben, tut lieber so, als gebe es nur zwei Probleme: Asylwerber und Klimakleber. Oder drei: Staatsanwaltschaften, die ihre Aufgabe ernstnehmen und der ÖVP lästig sind.
Es ist spannend zu sehen, wie die SPÖ von Andreas Babler den Raum, der sich unter diesen Umständen auftut, vernachlässigt. Gerade weil eine blau-türkise Mehrheit absehbar und mit einem Kanzler Kickl zu rechnen ist, könnte sie ziemlich viel erreichen, wenn sie für ein anderes Österreich werben würde. Und zwar vor allem auch über ihre Möglichkeiten, die sie als Bürgermeisterpartei in der Zwei-Millionen-Stadt Wien hat.
Wo ist die Pro-Europa-Bewegung? Natürlich: Mit dem soliden Andreas Schieder als Spitzenkandidat für die EU-Wahl im Juni ist er schwer, da etwas auszulösen. Wenn Michael Ludwig die Abschaffung von Noten fordern kann, sollte es ihm aber ein Leichtes sein, mit Forderungen und Bekenntnissen zu Europa Signale auszusenden, die österreichweit ebenfalls unübersehbar sind. Babler, dem noch immer die unsäglichen Aussagen aus einem Video über Europa nachhängen, würde das vielleicht helfen, ein neues Kapitel zum Thema aufzuschlagen.
Von Wien ist hier vor allem aber auch deshalb die Rede: Bei dem Ganzen geht es im Übrigen darum, ein Politikverständnis zum Ausdruck zu bringen, das eine Masse erstrebenswert findet. Das nicht nur zur Verhinderung von Kickl unterstützt wird, sondern weil es gut ist.
Die Kleingartenaffäre und der Umgang damit (keine sichtbaren Konsequenzen) ist insofern eine Katastrophe. Nicht weniger ist es die unsägliche Inseratenpolitik, die auch nach der jüngsten Kritik des Stadtrechnungshofes fortgesetzt wird, als wär‘ nix. In den Ausgaben der Gratiszeitungen „Heute“ und „Österreich“ vom 12. Dezember beispielsweise finden sich insgesamt vier ganzseitige Schaltungen, mit denen kein relevanter Informationsbedarf einhergeht: Einmal wird dazu aufgerufen, Glühbirnen zu tauschen, um Energie zu sparen; einmal wird gemeinsam mit der Wirtschaftskammer darauf hingewiesen, dass auf dem Rathausplatz der traditionelle Christkindlmarkt stattfindet; einmal, dass es eine App mit Stadtplan gibt; und einmal dürfen die Wiener Linien Imagepflege betreiben, indem sie daran erinnern, jeden Tag alles zu geben.
Problem: Das ist zwar eine Form von Medienförderung, aber eine sehr willkürliche, die zudem weder auf journalistische Qualität achtet noch darauf, ob ein Geschäftsmodell dahintersteckt, das journalistische Unabhängigkeit auch nur anstrebt. Problem 2: Hier werden nach Gutsherrenart ausschließlich Abhängigkeitsverhältnisse gepflegt. Problem 3: Diese Form der Medienförderung ist einer Demokratie unwürdig.
Wer Demokratie pflegen will, achtet darauf, dass es eine informierte Öffentlichkeit geben kann. Ein wichtiger Beitrag dazu ist unabhängiger Qualitätsjournalismus, der staatlich gefördert wird. Aber nicht – wie es in der westlichen Welt eher nur in Österreich praktiziert wird – durch Inserate, die noch dazu nach Gießkannenmethode schier jeglichem Journalismus zugutekommen, sondern durch gezielte Förderungen für Infrastruktur, Personal, Vertrieb und dergleichen.
Da könnte die Stadt aufzeigen. Und darüber hinaus könnte Babler in einem Programm für eine starke Demokratie im EU-Mitgliedsland Österreich ausführen, was auf Bundesebene geschehen sollte. Nicht, dass er durch einzelne Akzente zu alledem Wahlen gewinnen könnte. Sehr wohl aber dazu beitragen würde vielleicht ein Geist, der dadurch zum Ausdruck gebracht wird.