ANALYSE. Der SPÖ-Chef hat im Sommergespräch gezeigt, dass er für einiges, was er fordert, Argumente liefern kann. Damit ist er gegenüber Mitbewerbern schon im Vorteil. Abgesehen davon hat er für Karl Nehammer eine Nuss parat, die dieser erst knacken muss.
Bildlich gesprochen hat Andreas Babler in den vergangenen Wochen raketenartig alles präsentiert, was ihm wichtig ist. Das Ergebnis war ein Feuerwerk, das parteiintern sehr viele Menschen begeistert hat. Zumal für Außenstehende alles zusammen aber ein bisschen viel war und dann zum Beispiel auch noch das Video mit seinen zweifelhaften Aussagen zur EU auftauchte, überrascht es nicht, dass die SPÖ in Umfragen auf einem bescheidenen Niveau geblieben ist.
Im Übrigen hat sich Babler mit Leuten umgeben, bei denen sich erst weisen muss, ob sie ihm nützen können. Klubobmann Philip Kucher beispielsweise. Gerade der Klubobmann einer Oppositionsfraktion sollte unter anderem rhetorisch herausragend sein. Kucher ist es (noch) nicht.
Und dann hat sich gezeigt, dass Babler als Bundesrat die Bühne fehlt, die er braucht, um seine Stärken entfalten zu können. Beim Parteitag Anfang Juni hatte er sie – und nützte sie; er wurde zum Vorsitzenden gewählt. Erst jetzt, Monate später, hatte er mit dem ORF-Sommergespräch wieder eine.
Genützt hat er sie insofern, als es ihm gelang, ein paar Dinge so herauszuarbeiten, dass es ihm und seiner Partei eines Tages zum Erfolg gereichen könnte. Einiges blieb unklar oder gar seltsam: Er will sich nicht erinnern können, welche Partei neben der SPÖ er schon einmal gewählt hat. Das ist bei einem politischen Menschen kaum zu glauben.
Unterm Strich könnte Babler jedoch etwas zu seinem Vorteil machen, was ihn von seinen Mitbewerbern ums Kanzleramt unterschiedet: Er fordert nicht nur Populäres, sondern hat auch Argumente dafür, die man ablehnen kann, denen man aber erst einmal begegnen muss. Beispiel Arbeitszeitverkürzung: Laut einer Gallup-Erhebung wären 57 Prozent der Österreicher sogar für eine Verkürzung auf 30 Stunden „bei vollem Lohnausgleich“; und laut einer Statistik-Austria-Erhebung würde sogar jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte gerne weniger arbeiten, wenn der Preis dafür ein Einkommensverlust wäre.
Da müssen sich all jene, die eine Verkürzung ablehnen, etwas einfallen lassen. Der Hinweis darauf, dass man sich das aufgrund eines Arbeitskräftemangels nicht leisten könne, ist zu schwach. Zumal dieser Mangel viele Unternehmen sogar dazu zwingt, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen; zum Beispiel durch entsprechende Arbeitszeitregelungen, wie Babler im Sommergespräch betonte. Es entspricht einem alten Trend, der sich jetzt aber verstärkt: Eine Masse will arbeiten, um zu leben. Nicht umgekehrt. Hat etwa die ÖVP eine Antwort darauf? Nein. Null zu eins für Babler.
Die ÖVP versteift sich zu sehr auf die FPÖ, glaubt dieser mit ähnlichen Ansagen und Scheindebatten wie jener über eine Verankerung von Bargeld in der Verfassung Wind aus den Segeln nehmen zu können bzw. zu müssen.
Oder gezwungen zu sein, eine Vermögensbesteuerung abzulehnen. Eine solche wird – ab einem Vermögen von einer Million Euro – laut Gallup von 73 Prozent der Österreicher unterstützt. Zu glauben, dass man sie durch die Warnung vor einer „Häuslbauersteuer“ umstimmen könne, ist ein Irrtum. Genauso wie man Babler zwar unterstellen kann, einen Klassenkampf zu eröffnen, wenn er Stimmung gegen Superreiche macht: Das österreichische Steuersystem ist nicht nur bei Löhnen, sondern auch bei Vermögen leistungsfeindlich. Wer noch nie im Leben einen Finger gerührt hat, erstens aber das Glück hat, zum Beispiel eine Villa zu erben und das zweitens nicht irgendwo, sondern in Bregenz, Innsbruck, Salzburg oder Wien, der wird auch bis zu seinem Lebensende keinen Finger rühren müssen. Er profitiert von der Gnade, die richtigen Eltern am richtigen Ort zu haben – und so gut wie keine Steuern zahlen zu müssen.
Das Steuersystem lässt Vermögens- und damit auch Chancenungleichheit nicht nur zu, es duldet und verstärkt diese zudem: Immobilienpreise sind so hoch geworden, dass Eigentum für eine Masse illusorisch geworden ist. Sie werden’s nie schaffen. Sie können zuschauen, wie es anderen – durch Erbe – in den Schoß fällt.
Eine Neiddebatte? Woher: Der Begriff Chancengleichheit ist hier entscheidend. Ein Staat, der sich nicht überlegt, wie er eine solche zumindest ansatzweise ermöglichen könnte, hat sich selbst aufgegeben. Babler macht einen Vorschlag. Von ÖVP und FPÖ kommt kein Gegenvorschlag.
Ob es der SPÖ-Vorsitzende jemals ins Kanzleramt bringen wird, bleibt fraglich. Im Sommergespräch hat er jedoch eine Karte gezogen, die ihn diesem Ziel etwas näherbringt: Er hat vor einer Rückkehr zu Türkis- bzw. Schwarz-Blau gewarnt. Er hat behauptet, dass, wer Karl Nehammer wähle, Herbert Kickl bekomme. Das ist etwas, was bei (geschätzten) zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler Horrorvorstellungen auslöst. Allein schon wegen Kickl, aber auch wegen all der Affären.
Das ist bedrohlich für die ÖVP von Nehammer, die sich nach Sebastian Kurz nicht neu ausgerichtet hat, sondern weiter der FPÖ nachhüpft und glaubt, darüber hinwegtäuschen zu können, indem sie nur eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließt; aber eben nicht mit der FPÖ, in der – vgl. Video der Parteijugend – radikale Kräfte mehr und mehr den Ton angeben und die ebenfalls von einer Mehrheit abgelehnt werden.