ANALYSE. Warum der Fokus auf Leute, die zu kämpfen haben, eher nicht ausreicht für einen Wahlerfolg.
Der Demokratiemonitor 2023 bringt eine bemerkenswerte Entwicklung zum Ausdruck: Im Unterschied zum mittleren und oberen Drittel der Gesellschaft hat das untere nicht wieder etwas mehr, sondern noch weniger Vertrauen in das politische System als es ohnehin schon hatte. Oder: Im Unterschied zu den anderen beiden Dritteln nach ökonomischen Kriterien (insbesondere Einkommen) fühlen sich in seinen Reihen noch weniger Menschen gut vertreten im Parlament. Es handelt sich nur noch um 16 Prozent. In Worten: sechzehn Prozent.
Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Befragungsergebnisse, die das Sozialforschungsinstitut SORA hier veröffentlicht hat. Zu erwähnen ist zum Beispiel auch dies: Während im oberen Drittel 82 und im mittleren Drittel 68 Prozent angeben, eine Partei wahrzunehmen, die ihre Interessen vertritt, handelt es sich im unteren Drittel „nach wie vor um nicht einmal die Hälfte“.
An dieser Stelle könnte es klingeln in der SPÖ-Zentrale. Nicht missverstehen: Der Zustand einer Gesellschaft kann daran bemessen werden, wie es denen geht, die am wenigsten haben. Ziel von Politik sollte es sein, das zum Maß zu machen. Die Lösungsansätze sind in jedem Fall sehr unterschiedlich.
Damit man aber eine Gelegenheit bekommt, überhaupt etwas umsetzen zu können, muss man eine Wahl gewinnen, wie man so sagt. Und diesbezüglich muss sich die SPÖ von Andreas Babler fragen, ob sie ein paar Dinge nicht zu eng oder überhaupt so anlegt, dass sie es sich selbst schwer macht.
Erstens: Babler umwirbt gezielt Angehörige des unteren Drittels. Das ist grundsätzlich keine Frage von falsch oder richtig, gut oder schlecht. Man muss sich dabei aber vor Augen halten, dass ein erheblicher Teil dieser Menschen nicht gewinnbar ist. Bei der SORA-Befragung im September, Oktober gab wie erwähnt nicht einmal die Hälfte an, eine Partei zu haben, die ihren Vorstellungen entspricht. Selbst wenn man bedenkt, dass Babler da erst ein paar Monate unterwegs war, ist das ein bescheidener Wert; vor allem, wenn man im Übrigen davon ausgeht, dass auf Nachfrage nicht alle die SPÖ als die Partei nennen werden, die liefert, was sie sich wünschen. Außerdem ist die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe laut SORA unterdurchschnittlich. 2019 belief sie sich auf keine 60 Prozent.
Zweitens: Babler umwirbt das untere Drittel, indem er sich gegen die Obersten im Sinne von ausdrücklich Reichen stellt. Wie das dem mittleren und dem oberen Drittel gefällt, ist nicht bekannt. Es ist aber insofern riskant, als er ihnen wenig liefert, was sie direkt ansprechen könnte. Hochschulpolitik? Kulturpolitik? Medienpolitik? Europapolitik, um freiheitlichen Festungsideen ein bisschen Weltoffenheit entgegenzusetzen? Angebote für Unternehmerische? Fehlanzeige.
Drittens: Über das untere Drittel hinaus gibt es ein „Systemmisstrauen“, das nicht zuletzt aus diversen Korruptionsaffären resultiert. Sie haben den Eindruck entstehen lassen, dass es sich Mächtige richten, wie es ihnen gefällt. Babler weiß das. Er äußert auch Unbehagen bezüglich der Kleingartenaffäre in Wien und der Tätigkeit von Alfred Gusenbauer für Renè Benko. Beides hätte er besser bleiben lassen. Es ist nämlich ohne sichtbare Konsequenzen geblieben. Schlimmer: Durch sein Unbehagen hat er zum Ausdruck gebracht, dass aus seiner Sicht auch in der Sozialdemokratie zumindest moralisch nicht alles so ist wie es sein sollte. Warum ist dann aber nichts geschehen?
Viertens: Umso mehr müsste er – quasi als begleitende Maßnahme zu seinen bekannten politischen Schwerpunkten – auf Vertrauensbildendes setzen. Strafrechts- und Transparenzbestimmungen zur Korruptionsbekämpfung fordern beispielsweise, die Österreich am besten zum strengsten Land in Europa machen würden. Zu einer Vorzeigerepublik. Tut er’s? Bisher nicht.