Aus dem Inneren der Grünen

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ANALYSE. Was die Vorwürfe gegen Schilling über die Partei aussagen und was das für die Europawahl befürchten lässt.

„Wir haben ja gewusst, dass der Wahlkampf dreckig wird“, das sei leider zu erwarten gewesen, sagt Grünen-Chef Werner Kogler, zu den Vorwürfen gegen Lena Schilling, die EU-Wahl-Spitzenkandidatin seiner Partei: Der „Standard“ hat unter Berufung auf dutzende Personen, mit denen er gesprochen habe, berichtet, dass die 23-jährige Unwahrheiten über Bekannte verbreite. Dass sie in einem Fall sogar eine Unterlassungserklärung („Aktenzeichen 5 C 300/24i“) abgegeben habe, mit der sie sich vor Gericht verpflichtete, „eine Reihe von Äußerungen zu unterlassen. Etwa dass eine ihrer einst besten Freundinnen von deren Ehemann verprügelt werde und nach einem Übergriff eine Fehlgeburt erlitten habe“.

Es ist zutiefst privat, aber selbstverständlich dazu angetan, die Glaubwürdigkeit von Lena Schilling insgesamt in Frage zu stellen. Sie selbst widerspricht den Darstellungen nicht, sondern betont: „Über private Dinge, die da zum Teil offengelegt werden oder die da zum Teil formuliert werden, möchte ich mich nicht äußern, weil es keine politische Tangente gibt.“

Das ist auch die Linie, die Kogler verfolgt. Er spricht von „anonymem Gemurkse und Gefurze“ und startet mit den Seinen eine Jetzt-erste-recht-Kampagne. Titel: „Eine für alle, alle für Lena“.

Alle? Das ist ein heikler Punkt. Auf X (Twitter) lässt der Abgeordnete und Europapolitiker Michel Reimon ins Innere der Grünen blicken. Er bekomme hier vor allem eins mit, schreibt er: „Zorn auf jene unbekannten eigenen Leute, die Gerüchte streuen und nicht dazu stehen. Die Kritik richtet sich da weniger an den Standard und die JournalistInnen, als an eigene Leute.“ Ja: „Wer das getan hat, soll dazu stehen.“

Die Stimmung muss übel, das Misstrauen untereinander groß sein. Woher kommt das? These: Hier hat sich in den vergangenen Jahren der Regierungsbeteiligung zu viel aufgestaut, ist man doch nach außen hin gezwungen, Geschlossenheit zu demonstrieren und sich im schlimmsten Fall zu verbiegen.

Zweitens: Die Grünen stehen als Partei ganz grundsätzlich an einem sehr, sehr kritischen Punkt. In den Ländern verlieren sie eine Regierungsbeteiligung nach der anderen, bei Urnengängen kommt für sie in der Regel ein Minus heraus. Da steigt die Unruhe.

Drittens: Mit Kay-Michael Dankl und Dominik Wlazny betreten neue Akteure die politische Bühne, die besonders für Grüne gefährlich sind: Sie leben ebenfalls von Stimmungswählern. Vor allem, weil sie keine Politiker sind, die wie Kogler und Co. viele Menschen enttäuscht haben.

Darauf hat der Vizekanzler und Parteichef reagiert, als er zu Beginn des Jahres die Nicht-Politikerin Lena Schilling als Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl präsentierte. Einerseits ein genialer Zug: Schilling bietet sich nicht dafür an, den Grünen einen Denkzettel zu erteilen oder sie für ihre Regierungsarbeit abzustrafen. Sie hat ja nichts damit zu tun. Sie steht stattdessen für engagierten Aktivismus im Sinne der Partei (Klimaschutz).

Andererseits ist das aber eben auch hochriskant: Wie auf diesem Blog schon ausgeführt, bietet sich Schilling nicht unbedingt Wählern an, denen es um Europapolitik im Allgemeinen und Sicherheitspolitik im Besonderen geht. Oder denen es wichtig ist, autoritären Rechtspopulisten etwas entgegenzusetzen, die antreten, die EU zu einem losen Netzwerk von „Vaterländern“ rückzubauen.

Jetzt haben die Grünen diesen Wählern überhaupt noch viel weniger anzubieten: Bei einer Stimme für sie geht es – Stand heute – eher darum, sie wegen einer Kampagne, die Kogler gegen Schilling ortet, zu wählen oder trotz dieser. Aber nicht so sehr darum, einen Rechtsruck in Europa zu verhindern oder ein anderes Europa zu stärken. Insofern ist es nachvollziehbar, wie sich Freiheitliche gerade freuen über die Vorwürfe: Sie wissen, was damit einhergeht. Gegner von ihnen verlassen das entscheidende Spielfeld.

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