ANALYSE. Österreich tut sich mit seiner Absage an EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und das Freihandelsabkommen TTIP nichts Gutes.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache muss vor Neid erblasst sein, als er heute Früh die Titelseite der „Kronen Zeitung“ erblickte: „Österreich sagt TTIP ab“, heißt es da außerformatig. Von einem „Sieg der Vernunft“ ist die Rede: „Die Proteste Hunderttausender Krone-Leser haben endlich Gehör gefunden: Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner verkünden das Aus der TTIP-Verhandlungen.“ Wieder also ist ihm, Strache, ein Punkt, den eigentlich er eines Tages einheimsen wollte, abhandengekommen. Wie schon bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei; auch bei diesen will nicht mehr nur er nichts mehr davon wissen. Wobei es ein schwacher Trost für ihn ist, dass er mit den gut 35 Prozent, die die Freiheitlichen in den Sonntagsfragen erreichen, der eigentliche Antreiber hinter alledem ist. Abstauben tun andere.
Ob sich das innenpolitisch bezahlt macht für Kern und Mitterlehner, bleibt allerdings abzuwarten. International droht es Österreich jedenfalls enorm zu schaden: Zum einen wird die Alpenrepublik vollkommen unberechenbar; zum anderen schwächt sie Europa; und zum dritten und schlimmsten bringt sie möglicherweise auch darüber hinaus Unglück. Doch eines nach dem anderen:
- Dass die EU mit der Türkei über einen möglichen Beitritt und mit den USA über ein Freihandelsabkommen verhandelt, hat nicht irgendwer beschlossen. Ersteres haben die europäischen Staats- und Regierungschefs in einem Rat am 17. Dezember 2004 getan. Österreich stimmte vertreten durch den damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) zu. Ähnlich lief die Sache bei TTIP, wie auch einer schulbuchtauglichen Erläuterung auf der Website des Wiener Landwirtschaftsministeriums zu entnehmen ist: „Die Europäische Kommission führt die Verhandlungen auf Grundlage des vom Rat erteilten Mandats. Österreich hat sich hier gut eingebracht“, heißt es dort wörtlich.
- Beide Fragestellungen mögen hierzulande von vornherein höchst umstritten gewesen und zuletzt auch auf massive Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen sein. Was die Türkei betrifft, versuchte denn auch schon Schüssel zu beschwichtigen, dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt würden; später kam die Ankündigung einer Volksabstimmung dazu. Das kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, auf dem innenpolitischen Parkett einen Stopp internationaler Verhandlungen auszurufen. So nämlich wird die Europäische Union endgültig handlungsunfähig. Anders ausgedrückt: Wenn schon, hätten Kern und Mitterlehner zumindest auch umgehend im Kreis der übrigen Mitgliedsländer für ein Verhandlungsende werben müssen. So aber ist die Vorgehensweise zweifelhaft.
- In der Türkei sind heute weder Rechtsstaat noch Demokratie gewährleistet. Damit hat sie in der EU keinen Platz. Vor zehn, 15 Jahren aber war dies nicht viel anders. Die Verhandlungen wurden trotzdem aufgenommen. Und wenn man nun geneigt ist, sie zu beenden, sollte man zumindest auch darüber diskutieren, welche Einflussmöglichkeiten man dann noch auf Recep Tayyip Erdoğan hat; und zwar auch im Sinne der Opposition, die ihn bekämpft. Ihr würde jedenfalls eine Schwächung bzw. ihm eine weitere Stärkung zuteil werden.