An den Journalisten liegt’s nicht, Herr Bundeskanzler

ANALYSE. Dass das Pressefoyer zu einer Aneinanderreihung von Sätzen und Soundbits verkommen ist, liegt an Ihnen, Ihren Kollegen und Ihren Vorgängern.

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ANALYSE. Dass das Pressefoyer zu einer Aneinanderreihung von Sätzen und Soundbits verkommen ist, liegt an Ihnen, Ihren Kollegen und Ihren Vorgängern.

Der Stilbruch tut weh: Nachdem sich der ehemalige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) nur noch über Videoschaltungen aus seinen Amtsräumen an die Öffentlichkeit gewendet hatte, war der erste Medienauftritt, den sein designierter Nachfolger Christian Kern (SPÖ) im Stützpunktzimmer des Parlaments Anfang Mai absolvierte, so bemerkenswert anders; freie Rede, ohne jegliche Barriere vor Journalisten. Doch das ist Geschichte: Nun stellte sich auch Kern in einem leeren Raum des Kanzleramts vor eine Kamera, um mitzuteilen, dass das Pressefoyer und damit der freie Medienzugang zu ihm gestrichen ist. Einen solchen Bruch muss man erst einmal verdauen. Nicht einmal Altkanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), der seit der „Sauaffäre“ Mitte der 1990er Jahre auf Kriegsfuß mit Journalisten stand, hatte einen solchen Schritt gewagt.

Und jetzt ausgerechnet Kern, der ehemalige SPÖ-Pressesprecher.

Der Text, den der Kanzler da zur Begründung vortrug, sagt mehr, als er sagen wollte: Bruno Kreisky habe das Pressefoyer 1971 eingeführt, um Politik erklären, Zusammenhänge darstellen und für Anliegen werben zu können. Übrig geblieben sei davon jedoch lediglich eine Aneinanderreihung von Sätzen, Soundbites und der Versuch, Politik auf Drei-Worte-Überschriften zu reduzieren.

Das ist tatsächlich nicht falsch. Doch liegt das an den Journalisten? Natürlich wäre es naiv, zu behaupten, sie würden nicht auf knackige Formulierungen und Auseinandersetzungen stehen. Den Inhalt eines Pressfoyers bestimmen aber noch immer der Kanzler, sein Vize und die Minister.

Nimmt man Kern also wörtlich, dann sind er und seinesgleichen nicht mehr in der Lage, einen zentralen Bestandteil der Politik zu erfüllen: Erklären, darstellen und – erraten – werben.

Nimmt man Kern also wörtlich, dann sind er und seinesgleichen nicht mehr in der Lage, einen zentralen Bestandteil der Politik zu erfüllen: Erklären, darstellen und – erraten – werben. Daher soll es künftig nur noch ein „Debriefing“ durch die Regierungskoordinatoren geben; sie werden lediglich berichten. Außerdem ist ein Kanzlerblog geplant, über den Pressesprecher Verlautbarungen vornehmen können, Kommentarfunktionen für User inklusive. Für Journalisten plant der Kanzler im Ürigen Hintergrundgespräche. Das ist grundsätzlich eine sinnvolle Sache; in der Regel werden dazu jedoch nur ausgewählte Teilnehmer geladen und der Inhalt bleibt vertraulich.

Von diesem Bundeskanzler hatte man mehr erwartet. Nicht, dass es keinen Handlungsbedarf beim Pressefoyer gegeben hätte. Aber muss man es gleich (de facto) ersatzlos streichen? Die Vorgangsweise von Kern muss jedenfalls Zweifel daran nähren, dass er sich einer kritischen Auseinandersetzung über seine Politik stellen möchte. Es muss vielmehr der Verdacht aufkommen, dass er bestrebt ist, selbst zu bestimmen, was an die Öffentlichkeit gelangen soll. Wie auf Instagram eben.

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