Parlamentarismus unerwünscht

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KOMMENTAR. Mehr denn je sind Abgeordnete zu bloßen Exekutionsorganen verkommen. Und wenn sie nicht spuren, werden sie beschimpft.

Natürlich, wir haben eine Art Notstand, da kann man nicht lange herumfackeln. Funktionieren ist angesagt. Und zwar schnell. Andererseits: Wir haben auch eine Demokratie und einen Rechtsstaat, die weiterhin bestmöglich gepflegt werden müssen. Nicht trotzdem, sondern gerade weil: Wenn schon so enorme Kollateralschäden, wie hunderttausende Arbeitslose, in Kauf genommen werden müssen, dann sollte dies wenigstens von Volksvertretern legitimiert werden und auf einer Grundlage stattfinden, die rechtlich einigermaßen sauber ist. Sonst könnten wir ja gleich Ungarn machen.

Klingt alles selbstverständlich, ist es jedoch nicht. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer überraschte diese Woche mit einer Äußerung, die tief blicken lässt: Das Bundesratsveto von Sozialdemokraten und Freiheitlichen gegen mehrere Coronagesetze bezeichnete sie in einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ als „zynischen Sabotageakt“.

Um nicht missverstanden zu werden: Zumal es den Oppositionsvertretern in der Länderkammer des Parlaments nicht um Länderinteressen ging, kann man ihre Vorgangsweise kritisieren. Wenn sie aber so brachial, wie nun von Maurer, abgeurteilt wird, muss man einschreiten: So wenig die Regierung und ihre willfährigen Fraktionen auf parlamentarischer Ebene zig Entscheidungen fein-säuberlich und rein sachlich argumentieren können, so wenig muss die Opposition ihre Ablehnung überzeugend darlegen. Beide dürfen tun, was sie für richtig halten.

Maurer versucht die Opposition in einen Zwangsdienst von Türkis-Grün zu nehmen. Was in der Praxis wiederum so funktioniert: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und andere Regierungsmitglieder legen das Alternativlose, das einzig Wahre vor. Und die Klubobleute August Wöginger (ÖVP) und eben Maurer bringen das durchs Parlament. Aber ohne Widerrede, zack, zack, zack. Allenfalls Lobhudelei ist erwünscht.

Umgekehrt – und das verschlimmert die Sache noch – haben die Fraktionschefs auch dafür zu sorgen, dass das Parlament seiner Pflicht, Kontrolle auszuüben, möglichst nicht nachkommt. In diesem Sinne sind die Oppositionswünsche für den Ibiza-U-Ausschuss auch von Maurer zunächst überaus forsch zusammengestrichen worden. Bis das vom Verfassungsgerichtshof quasi zurückgepfiffen worden ist.

Aktuell würde es verdammt gute Gründe für einen Ischgl-U-Ausschuss geben: In Tirol sagen ÖVP und Grüne, im Landtag sei ein solcher unmöglich, weil es hier nicht um mutmaßliches Versagen der Landes-, sondern der mittelbaren Bundesverwaltung gehe. Was die Grünen als selbsternannte Kontrollpartei schmerzen muss. Anderseits: Wenn es um mittelbare Bundesverwaltung geht, könnten sie umgehend einen U-Ausschuss des Nationalrats begehren. Tun sie aber nicht.

Gegen einen solchen Ausschuss gibt es im Übrigen nur ein wirkungsvolles, aber schlechtes Argument: Was werden wir jetzt, im Notstand, parteipolitische Schmutzwäsche waschen! Notwendig ist ein nationaler Schulterschluss!! Das ist entlarvend: Wenn sich das Parlament nicht einmal dann, wenn es wirklich ernst wird, zutraut, essenzielle Aufgaben zu erfüllen, steht es kurz vor der Bankrotterklärung.

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