Parlamentarische Zumutung

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ANALYSE. So viel Misstrauen wie Wolfgang Sobotka hat die Bevölkerung noch keinem Nationalratspräsidenten entgegengebracht. Das spricht für ihr Urteilsvermögen.

Seit 2003 führen die Austria Presseagentur APA und das Meinungsforschungsinstitut OGM einen Vertrauensindex. Regelmäßig werden Menschen in Österreich befragt, ob sie bestimmten Politikerinnen und Politikern vertrauen oder nicht. Der Saldo wird veröffentlicht. Ist er positiv, überwiegt das Vertrauen, ist er negativ, ist das Misstrauen größer.

Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten lagen bisher eher klar im positiven Bereich. Kein Wunder: Sie repräsentieren und hüten gewissermaßen eine Institution, die grundsätzlich geschätzt wird. Andreas Khol (ÖVP) kam gegen Ende seiner Amtszeit 2006 auf (plus) vier Punkte. Barbara Prammer (SPÖ) erreichte im Februar 2014, ein halbes Jahr vor ihrem Tod infolge einer schweren Erkrankung, gar 31 Punkte. Was nicht ungewöhnlich war für sie: 2009 genoss sie mit 34 Punkten noch etwas mehr Vertrauen. Nachfolgerin Doris Bures (SPÖ) lag im Sommer 2017 bei sieben Punkten.

Der gegenwärtige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist im Vergleich damit ein echtes Phänomen: Im jüngsten APA/OGM-Vertrauensindex kam er auf einen negativen Wert von 32. Wie bei den meisten Bundespolitikern war es zuletzt auch in seinem Fall zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen. Als z.B. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und (Ex-) Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zu Beginn der Pandemie vor einem Jahr sehr gute Werten hatten, war er aber auch schon bei einem dürftigen Indexwert von eins (plus) gelegen.

Die Frage, wie er das schafft, beantwortet Sobotka selbst: Mit seiner Forderung, die Wahrheitspflicht in Untersuchungsausschüssen abzuschaffen, erwies er sich als parlamentarische Zumutung. Die Tageszeitung „Die Presse“ schreibt von einer „Lizenz zum Lügen“: „Ein U-Ausschuss ohne Wahrheitspflicht wäre weitgehend sinnlos.“ Regierungsmitglieder und andere Auskunftspersonen, könnten erzählen, wonach ihnen ist. Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hätten beispielsweise behaupten können, ÖBAG-Chef Thomas Schmid nur vom Namen her zu kennen – es wäre zwar offensichtlich falsch gewesen, die beiden hätten jedoch keine Konsequenzen zu befürchten gehabt. Also hätte es ihnen schlicht egal sein können, die Abgeordneten hätten sich allenfalls ans Salzamt wenden könnten.

Sobotkas Vorstoß ist nicht weniger plump: Seit Monaten ist er im U-Ausschuss entweder befangen (Stichwort Mock-Institut) oder zur Abwehr seiner Parteifreunde in Regierungsfunktionen tätig. Das widerspricht jedoch seiner Aufgabe von Amts wegen, die offensichtlich noch immer von einer Mehrheit der Bevölkerung erwartet wird: Zumindest ein bisschen Kontrolle muss sein; Sobotka hätte dafür zu sorgen, dass sie möglich ist.

Das wäre mehr denn je nötig. Schon die Pandemie führt zu einem demokratischen Ausnahmezustand. Viele Dinge, die selbstverständlich sein müssten, sind nicht oder nur eingeschränkt möglich. Demonstrationen beispielsweise. Oder Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, die von den Volksvertretern auf parlamentarischer Ebene, wenn schon nicht ausgehen, dann zumindest gepflegt werden. Zumal immer wieder Fragestellungen anstehen, die Grundrechte tangieren wie noch selten – sei es in Bezug auf „Lockdowns“ oder auf den „Grünen Pass“, der gerade in Vorbereitung ist. Da wäre mehr denn je ein Nationalratspräsident gefragt, der das Hohe Haus ein hohes Haus sein lässt.

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