BERICHT. Es ist fraglich, ob man jeder Politikeraussage nachgehen muss. Doch sei’s drum: Die Binnenwanderung mit der Bundeshauptstadt im Zentrum ist so oder so ein sehr spannendes Thema.
„Mehr und mehr Österreicher verlassen Wien“, bekräftigte ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz am Mittwoch eine Aussage, die er am Wochenende zuvor schon einmal in diesem Sinne getätigt hatte. Seither geht’s rund. „Wird hier ernsthaft diskutiert, ob die Wiener wegen der Ausländer die Stadt verlassen?“, so der Autor und Journalist Hubert Lackner auf Twitter: „Geht die Verblödung in diesem Wahlkampf schon so weit?“ 101 Retweets und 432 Likes nach einem Tag zeigen, dass er da ziemlich vielen aus dem Herzen gesprochen hat.
Dennoch ein Versuch, die Kurz-Behauptung abzuklopfen. Ergebnis: Er hat recht. Und er hat unrecht. Wie das bisweilen halt so ist bei demagogischen Aussagen. Doch zu den Fakten: Statistik Austria führt ziemlich gut aufgeschlüsselte Daten zur Binnenwanderung. Seit 1996 lässt sich beispielsweise nachvollziehen, wie viele Menschen von anderen Bundesländern nach Wien übersiedeln bzw. von dort in andere Bundesländer ziehen. Ergebnis: Die Wanderung hat sich über die 20 Jahre hinweg beinahe verdoppelt. Und zwar sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Wobei es Phasen gibt, in denen mehr Leute Wien verlassen (in den 2000ern etwa) und dann wieder welche, in denen mehr nach Wien ziehen. 2016 war das beispielsweise der Fall: Da kamen 38.765 Frauen, Männer und Kinder nach Wien, während es 37.627 in ein anderes Bundesland verließen.
Doch Kurz hat von „Österreichern“ gesprochen, womit er wohl ausschließlich österreichische Staatsbürger meint. Und auch hier gilt, dass die Binnenwanderung mit Wien als Ziel- oder Startort über die Jahre zunimmt. 2016 war sie negativ: 22.027 Österreicher zogen nach Wien, 25.701 verließen es. Wobei man zwei, drei Dinge beachten sollte: Bei denen, die in die Bundeshauptstadt gehen, handelt es sich zu einem guten Teil um Studierende. Sie kommen zunächst einmal eher auf Zeit. Und nach einigen Jahren entscheidet sich dann erst, ob sie bleiben oder wieder raus aus „aufs Land“ wollen.
Außerdem: 2016 war der negative Wanderungssaldo praktisch ausschließlich auf Niederösterreich zurückzuführen. Kein Wunder: Die Umlandgemeinden von Wien entpuppen sich für die meisten Wiener als einzige Möglichkeit, sich ein Haus im Grünen leisten, aber die Vorteile der nahen Stadt weiter nützen zu können. Diese Gemeinden wachsen jedenfalls überdurchschnittlich stark.
Mit den meisten Bundesländern gab es einen positiven Wanderungssaldo: Auch im vergangenen Jahr zogen von dort also deutlich mehr österreichische Staatsbürger zu als umgekehrt. Beispiel Kärnten: Nach Wien zogen 1427, retour 950 Personen. Oder Tirol: 880 übersiedelten in die Donaumetropole, 609 zurück. Und so weiter und so fort, ähnlich verhielt es sich bei Oberösterreich, der Steiermark und Salzburg.
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