ANALYSE. Georg Willi hat recht: Wer an den Alltagsproblemen der Leute vorbeiredet, ist chancenlos.
„Das ist rechter Sprachgebrauch à la FPÖ“, schäumte die Innsbrucker Grünen-Vizebürgermeistern Sonja Pitscheider vorige Woche über ihren Parteikollegen, den Bürgermeister-Kandidaten Georg Willi: „So hart es klingen mag, aber die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle“, hatte dieser erklärt. Pitscheider war das zu viel: „Bye, bye, greens“, verabschiedete sie sich via Facebook.
Man darf jetzt nicht den Fehler machen, nach dem Triumph von Georg Willi beim ersten Durchgang der Bürgermeister-Wahl (mit 31 Prozent auf Platz) zu behaupten, die Ehe für alle z.B. sei gar kein Problem, das die Menschen beschäftige. In einem Punkt aber ist Willi bestätigt worden: Man muss schon darauf achten, welche Sorgen sie im Alltag vor allem plagen. Ignoriert man das, redet man an ihnen vorbei, wird irrelevant und früher oder später eben abgewählt.
Innsbruck ist für die Grünen mit der relativ jungen Wählerschaft und den vielen Studenten und Akademikern grundsätzlich ein guter Boden. Auch Vertreter dieser Zielgruppen müssen sich jedoch Gedanken darüber machen, wie sie sich das Wohnen in der diesbezüglich teuersten Stadt der Republik weiterhin leisten könnten. Das ist es ziemlich existenzielle Frage. Willi ist in seinem Wahlprogramm drauf eingegangen und offensichtlich gehört worden. Das war ein Teil seines Erfolgs.
Bei den vier Landtagswahlen in diesem Jahr lief es für die Grünen alles in allem sehr schlecht. Kein Wunder, könnte man sagen: „Zuwanderung“ war für die Wähler das wichtigste Thema, wie SORA-Wahltagsbefragungen zeigen. Und dazu hatten die Grünen kein Angebot, das sie für eine nennenswerte Gruppe attraktiv gemacht hätten. Besonders eindrucksvoll lässt sich das auch durch die GfK-Austria-Umfrageergebnisse verdeutlichen, die die Politologen Fritz Plasser und Franz Sommer in ihrem jüngsten Buch „Wahlen im Schatten der Flüchtlingskrise“ abgedruckt haben.
„Welche der für die Nationalratswahl kandidierenden Parteien/Listen hat in den letzten Wochen am häufigsten die Probleme angesprochen, um die Sie sich persönlich ernste Sorgen machen?“, lautete eine Fragestellung im Oktober 2017. 30 Prozent nannten die FPÖ, 21 Prozent die ÖVP, 19 Prozent die SPÖ. Und die Grünen? 3 Prozent. In Worten: drei Prozent. Ja und noch schlimmer für sie: Jeweils ein Drittel ihrer eigenen Wähler gab im Unterschiedzu ihnen an, keine Möglichkeit mehr zu sehen, weitere Flüchtlinge aufzunehmen und Maßnahmen zu unterstützen, um den Zustrom einzudämmen.