Als die ÖVP aus der Regierung flog

ANALYSE. Sebastian Kurz hat bei der Regierungsbildung einmal mehr auf die Partei gepfiffen. Damit pokert er längerfristig extrem hoch. 

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ANALYSE. Sebastian Kurz hat bei der Regierungsbildung einmal mehr auf die Partei gepfiffen. Damit pokert er längerfristig extrem hoch.

Was in der ÖVP bzw. der Neuen Volkspartei zurzeit abgeht, erinnert den Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten, Gerold Riedmann, an eine alte Devise in ihren Reihen: „Hände falten, Gosch’n halten“, wie er in einem Leitartikel vermerkt. Ja, es ist wirklich so. Sebastian Kurz schafft an. Ansonsten so selbstbewusste Länderfürsten stimmen im besten Fall nur kleinlaut zu. Und zwar bei fast allem. Der 31-Jährige kann im Grunde machen, was er will.

Das unterstreicht, dass es die Bundes-ÖVP nicht mehr gibt. Kurz ist an ihre Stelle getreten. Das ist eine One-Man-Show. Aus nachvollziehbaren Gründen: Markus Wallner, Günther Platter, Wilfried Haslauer, Thomas Stelzer (bzw. Josef Pühringer), Johanna Mikl-Leitner (bzw. Erwin Pröll) und Hermann Schützenhöfer, um die ÖVP-Landeshauptleute (bzw. ihre Vorgänger) auch ausdrücklich zu erwähnen, haben die Partei schon vor längerer Zeit gegen die Wand gefahren. Reinhold Mitterlehner bemühte sich vergeblich, zu retten, was zu retten ist. Sie haben es ihm unmöglich gemacht. Und als er sich verabschiedete, blieb ihnen nichts anderes mehr übrig, als das, was noch war, Sebastian Kurz zu übertragen. Und zwar bedingungslos, ganz.

Die Zusammensetzung der türkisen Regierungsriege bringt diese Entwicklung noch besser zum Ausdruck als es beispielsweise schon der Wahlkampf getan hat: Die Ministerinnen und Minister sind entweder Sebastian Kurz allein verpflichtet; oder es handelt sich um ziemlich unabhängige Leute. Mit der alten ÖVP hat jedoch kein einziger etwas zu tun.

Gernot Blümel (Kanzleramt) und Elisabeth Köstinger (Landwirtschaft) mögen in der Partei großgeworden sein. Sie sind aber die engsten Vertrauten des künftigen Kanzlers. Und alle anderen sind mehr oder weniger parteiunabhängige Quereinsteiger: Margarete Schramböck (Wirtschaft), Hartwig Löger (Finanzen), Juliane Bögner-Strauß (Frauen), Heinz Fassmann (Bildung) und Josef Moser (Justiz).

Das mag jetzt allen taugen, die einen neuen Stil nicht mehr erwarten können; die mit Politik ohnehin nichts mehr am Hut haben. Das „Problem“ ist jedoch, dass auch die größten Hoffnungsträger und Wunderwuzzis in einem System tätig sein müssen, das da ist: Politik.

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Zunächst einmal ist es gut, wenn insbesondere die Quereinsteiger fachliche Kompetenzen mitbringen. Wenn man ein Anforderungsprofil an einen Minister erstellen muss, dann ist das jedoch nur ein Teil, der entscheidend ist: Dazu kommen etwa Sozial- und Medienkompetenz. Sowie die Gabe, Mehrheiten zu gewinnen, also Leute zu überzeugen. Anders ausgedrückt: Zu wissen, was wie verändert gehört, ist das eine. Wenn man aber nicht weiß, wie man das „verkaufen“, geschweige denn durchsetzen soll, ist das exakt so viel wert: null.

Was das Politikmachen angeht, ist die FPÖ-Riege im Unterschied dazu mit allen Wassern gewaschen

Spannend ist vor diesem Hintergrund schon einmal ein Vergleich der türkisen mit der blauen Regierungsriege: Diese besteht weniger aus Fachexperten und mehr aus Leuten, die, was das Politikmachen angeht, mit allen Wassern gewaschen sind. Vielleicht ist es Heinz-Christian Strache auch von da her gelungen, bei den Koalitionsverhandlungen den Eindruck zu erwecken, dass er allein mit Herbert Kickl und Norbert Hofer diese führt.

Die Verabschiedung der ÖVP aus der Regierung ist für Sebastian Kurz auch in einem anderen Hinblick nicht ohne Risiko: Sofern er nicht die Absicht hat, über einen Ausbau der direkten Demokratie die repräsentative Demokratie zu umgehen, ist und bleibt er letzten Endes immer von parlamentarischen Mehrheiten abhängig. Und damit auch von „Alt“-Funktionären der Partei.

Auf sie kann er sich bisher verlassen, wissen doch auch sie, dass die meisten von ihnen ihr Mandat allein seinem fulminanten Wahlerfolg zu verdanken haben. Irgendwann aber werden sich ihre Landesparteien Landtagswahlen stellen müssen; und dann wird sich ihr Loyalitätsverhältnis eher in Richtung ihrer Landesorganisation verschieben. Das liegt in der Natur der Sache. Doch das ist eine andere Geschichte.

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