ANALYSE. Die Begutachtungsentwürfe zur „Wiener Zeitung“ und für neue Förderungen sind eine demokratiepolitische Offenbarung.
Als Sebastian Kurz noch Bundeskanzler und als solcher auch für Medienpolitik zuständig war, stellte er sich die Zukunft der „Wiener Zeitung“ folgendermaßen vor: Die älteste Tageszeitung der Welt (Gründungsjahr: 1703) wird eingestellt. Bleiben soll nur noch der Name – und zwar für ein digitales „Schwarzes Brett der Republik in Form einer neuen zentralen elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform“.
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) möchte das jetzt mit grüner Hilfe umsetzen. In einem Begutachtungsentwurf heißt es zu den Aufgaben der „Wiener Zeitung“ etwa „Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse“; sowie „Förderung des Verständnisses und des Interesses für und an politischen Sachverhalten, kulturellen, wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen“; oder „Stärkung der politischen und kulturellen Bildung und des demokratiepolitischen Bewusstseins“.
Das sind lauter Dinge, die wichtig sind. Was fehlt, ist aber ein Hinweis auf kritischen Journalismus, der, salopp formuliert, Mächtigen auf die Finger schaut und im Sinne aufgeklärter Bürgerinnen und Bürger berichtet, was ist.
In der Blattlinie der Tageszeitung „Die Presse“ beispielsweise ist ein solcher Journalismus festgehalten: Man verteidige „die Grundfreiheiten und Menschenrechte und bekämpft alle Bestrebungen, die geeignet sind, diese Freiheiten und Rechte oder die demokratische rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung zu gefährden“, heißt es darin. Außerdem: „Die Presse betrachtet es als journalistische Standespflicht, ihre Leser objektiv und so vollständig wie nur möglich über alle Ereignisse von allgemeinem Interesse zu informieren. Stellung zu nehmen und Kritik zu üben wird von der Tageszeitung Die Presse als ihre Aufgabe und ihr unveräußerliches Recht angesehen.“
Dass Vergleichbares bei der „Wiener Zeitung“ offenbar nicht vorgesehen ist, ist umso bemerkenswerter, als ihre Dachgesellschaft „Wiener Zeitung GmbH“ neben ihr auch noch (weiterhin) eine „Content Agentur“ betreiben soll, die ausdrücklich Regierungs-PR-Texte produziert, sowie ein „Hub“, der sich gut gefördert um Journalismus-Ausbildung in Österreich kümmert. Das ist eine demokratiepolitische Offenbarung: Man ist bestrebt, die vierte zu einer harmlosen, ja eher dienenden Gewalt verkommen zu lassen.
Eine Ausweitung der Medienförderung, wie sie in einem anderen Begutachtungsentwurf vorgesehen ist, macht die Sache kaum besser. Erstens: Die 20 Millionen Euro pro Jahr, die künftig zusätzlich fließen sollen, stehen in keinem Verhältnis zu öffentlichen Inseraten, die inklusive noch nicht veröffentlichter Teile gut und gerne 300 Millionen Euro ausmachen; die außerdem unbegrenzt bleiben sollen und in Verbindung mit einer Möglichkeit zur willkürlichen Vergabe wohl das wahre Instrument österreichischer Medienpolitik bleiben wird, mit dem Abhängigkeitsverhältnisse gepflegt werden können.
Zweitens: Versuche, journalistische Qualität und technologische Innovation zu schaffen, werden nicht nur ignoriert, sondern von Förderungen ausgeschlossen. Dabei wären gerade sie für Demokratie und Zukunft essenziell. Das Branchenmedium „Horizont“ hat das gerade auf den Punkt gebracht. Es geht darum, dass Onlinemedien auf einen redaktionellen Inhalt von „insgesamt mindestens 30 Millionen Zeichen“ kommen müssen. „Horizont“ zitiert dazu zwei Experten: Simon Kravagna, Geschäftsführer von „fjum_forum journalismus und medien“, weist darauf hin, dass es selbst die sehr viel schreibende „Presse“-Journalistin Anna Thalhammer nur auf 1,2 Millionen Zeichen im Jahr bringt: „Das heißt, ich muss als Onlinemedium 30 Anna Thalhammers haben, damit ich förderwürdig bin.“ Das ist illusorisch. Wenn, dann könnten weniger Leute ein solches Volumen nur erreichen, wenn der Inhalt vollkommen egal ist und sie zum Beispiel wörtliche Protokolle von Nationalratssitzungen in voller Länger veröffentlichen, also ohne Wesentliches herauszuarbeiten etc. Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Uni Wien, wird vom „Horizont“ mit den Worten zitiert: „Da kann ich in der Redaktion einen Affen vor eine Schreibmaschine setzen, der unendlich viele Zeichen in einem Jahr produziert.“