ANALYSE. Machtmissbrauch und vorherrschende Medienpolitik sowie ein Generaldirektor, der nicht dagegenhält, sondern Schwächen zeigt, stellen eine Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dar.
Diverse Affären bleiben ohne politische Konsequenzen. Im Herbst wurde dokumentiert, wie sich Ex-Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit Norbert Steger, einem seiner Vorgänger in beiden Funktionen, darüber austauschte, wer im ORF was werden könnte. Das war nicht egal: Steger war damals Vorsitzender des Stiftungsrates. Das Ganze zeugte von der parteipolitischen Einflussnahme auf den ORF, der allen Menschen in Österreich verpflichtet sein sollte. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte jedoch kein Interesse daran, etwas zu ändern. Eine Reform des Stiftungsrates komme nicht, weil eine solche nicht im Regierungsprogramm vorgesehen sei, erklärte sie.
Vor Weihnachten berichtete die bürgerliche Tageszeitung „Die Presse“ ausführlich, „wie die ÖVP Niederösterreich ,ihren ORF‘ dirigiert“. Dem Bericht zufolge über den Landesdirektor und früheren Chefredakteur Robert Ziegler. Dieser zog sich lediglich aus der Berichterstattung über die bevorstehende Landtagswahl zurück. ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erklärte auf ATV, es handle sich um eine „interne Intrige seitens des ORFs (sic!) und die ist dort zu klären“. Sprich: Sie sieht keinen Bezug zu ihr und der Volkspartei. Dabei geht das Problem (u.a.) laut erwähntem „Presse“-Bericht ja explizit von ihr aus: Sie dirigiere den ORF. Indem sie das nicht eingestehen will, signalisiert sie, dass es dabei bleiben soll. Dass es also keine politischen Konsequenzen geben soll. Nicht einmal jene, dass die Mitsprache von Landeshauptleuten bei der Bestellung von Landesdirektoren (wie Ziegler) fallen soll.
Umso verhängnisvoller ist es, dass es ORF-Generaldirektor Roland Weißmann einmal mehr verabsäumt hat, klar und deutlich zu sagen, dass seine Leute allein den Hörerinnen und Seherinnen verpflichtet sind, dass er Versuche, politisch Einfluss zu nehmen, nicht dulde und sie daher persönlich zurückweise. Und dass er Robert Ziegler nicht dazu gebracht hat, sich jetzt zumindest beurlauben zu lassen.
Wie es vernünftiger gewesen wäre und „die Situation wahrscheinlich beruhigt“ hätte. Gesagt hat das Gerhard Draxler in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ und der „Kronen Zeitung“. Darin hat er, der die Vorgänge in St. Pölten untersuchen soll, im Unterschied zu Weißmann auch deutlich gemacht, worum es geht. Zitat: „Die Vorwürfe in Niederösterreich haben Auswirkungen auf den gesamten ORF und erschüttern ihn in seinen Grundfesten. Eine seiner Säulen, nämlich die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der ausschließlich seinen Sehern und Hörern und nicht der Politik verpflichtet ist, beginnt schon zu wackeln – das ist gar nicht gut.“
Es ist auch nicht gut, weil der ORF vor einer der „größten Finanzierungskrisen“ seiner Geschichte steht. So brutal hat es Roland Weißmann formuliert: Ab 2024 könne auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells die Erfüllung der gesetzlichen Aufträge nicht mehr garantiert werden. Medienministerin Raab, die einer Partei angehört, die selbst erst zeigen muss, wie das geht, antwortete, der ORF solle in der Struktur sparen.
Bedeuten kann das viel. Unter anderem umfasst es die Möglichkeit, dass die Politik etwas dafür haben möchte, ehe sie dafür sorgt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr Geld bekommt. Im schlimmsten Fall stellt sie die Gebühren- auf eine direkte Budgetfinanzierung um, wie sie einst Strache wollte und nun von der grünen Mediensprecherin Eva Blimlinger wieder ins Spiel gebracht worden ist.
Für die Politik wäre das doppelt attraktiv, für den ORF eine potenzielle Katastrophe. Zunächst würde sich die Abschaffung der Gebühren gerade vor der nächsten Nationalratswahl als populäre Maßnahme (Entlastung) verkaufen lassen. Und längerfristig könnten die Geldflüsse direkt über den Finanzminister kontrolliert werden. Generaldirektoren würden so zu Bittstellern gemacht werden.