ANALYSE. Bei Inseraten geht es nicht nur um gefällige Berichterstattung. Es wird auch die wirtschaftliche Perspektive für unabhängigen Journalismus verbaut.
Stark vereinfacht kann man sagen, dass Medien einem besonderen Veränderungsdruck ausgesetzt sind. Inhaltlich reicht es für eine Tageszeitung längst nicht mehr, mit der Veröffentlichung von Nachrichten bis morgen zu warten und dann auch nur eine Nacherzählung zu liefern. Die Geschichte muss jetzt, auf der Stelle raus, und für den nächsten Tag ist ein „Weiterdreh“ erforderlich. Von daher ist echter Journalismus gewissermaßen noch unverzichtbarer geworden.
Auf der anderen Seite gibt es ein wirtschaftliches Problem: Mit Reichweiten gehen Inseratenerlöse zurück; auch Google und Facebook saugen Werbegelder ab. Klassische Presseförderung, die ohnehin keine neun Millionen Euro beträgt, wird aber schon lange nicht erhöht, um das auch nur ein bisschen zu kompensieren. Es ist viel schlimmer: Die Politik hat eine erbärmliche Lösung gefunden: Sie vergibt selbst Inserate in großem Stil. Alles in allem hat das Volumen im vergangenen Jahr rund 300 Millionen Euro betragen. Damit werden Zeitungen über Wasser gehalten. Oder auch nicht. Es handelt sich um reine Willkür.
Schlimmer: Durch Inserate gefördert werden eher klassische Titel und darunter vor allem auch Gratis-Boulevardblätter. Wenn man etwa „Heute“ in die Hand nimmt, kann man feststellen, dass hier sehr ordentlicher Journalismus möglich ist. Im Unterschied zu „Österreich“. Das ist jedoch nicht der Punkt, um den es hier geht: Das Problem ist das Geschäftsmodell. Es reicht, Papier zu bedrucken und zu verschenken. Der Inhalt spielt keine Rolle, öffentliche Inserate gibt’s in jeden Fall. Damit lässt es sich sogar gut leben.
Genau das ist ein doppelter Schlag gegen unabhängigen Journalismus: Eine staatlich geförderte Gratiskultur macht es schwieriger, eine Bezahlkultur zu etablieren. Zumal eine solche Bezahlkultur nicht von heute auf morgen entsteht, sondern mit sehr viel Ausdauer und großen Investitionen in auszuklügelnde Systeme – genau das aber wird in Relation eben kaum bis gar nicht gefördert.
Zusammengefasst bedeutet dies: Politik bemüht sich mit Inseraten nicht nur um gefällige Berichterstattung jetzt; sie richtet sich auch gegen heutigen und künftigen Journalismus, der letztlich immer das Ziel haben sollte, den Bürgerinnen und Bürgern so Wertvolles zu liefern, dass sie bereit sind, dafür zu bezahlen und er davon leben kann. Ein solcher kann sich nur schwer halten und noch weniger entstehen.
In diesem Sinne sollte man die 300 Millionen Euro nehmen und für entsprechende Förderungen verwenden. Zum Beispiel als Starthilfe für innovative Medien, die im Idealfall so stark werden, dass sie eines Tages kein Steuergeld mehr brauchen. Einschub: Öffentliche Inserate sind in der Regel ohnehin verzichtbar. Jede Zeitung, die ernstgenommen werden will, berichtet gerade auch vor Wahlen oder in einer Pandemie alles Notwendige.
Gefordert ist nicht nur die Bundespolitik, also ÖVP und Grüne, sondern ganz besonders auch die Stadt Wien, die von SPÖ und Neos geführt wird. Unter dem ehemaligen Wohnbaustadtrat und späteren Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ist hier ein Unwesen etabliert worden, das sich bis heute gehalten hat.
Laut medien-transparenz.at gab die Stadt allein im vergangenen Jahr 24,19 Millionen Euro für meldepflichtige Inserate aus. Nimmt man noch Töchter wie „Wien Holding“ (2,55 Mill. Euro), „Wohnservice“ (1,50), „Wiener Linien“ (1,22), aber auch die Hauptkläranlage (0,23) oder die Bestattung (0,19) und einige weitere dazu, kommt man auf 31,19 Millionen Euro. Berücksichtigt man im Übrigen, dass laut Rechnungshof gut ein Drittel der Inserate nicht meldepflichtig sind, kommt man auf gut und gerne 40 Millionen Euro. Damit würde sich großer Journalismus ermöglichen lassen.
Immerhin: Bei Bildung der gegenwärtigen Stadtregierung haben SPÖ und Neos vor einem Jahr vereinbart, dass sie bei Medienkooperationen und Inseraten „bevorzugt mit jenen Medien zusammenarbeiten wird, bei denen journalistische Sorgfalt, Innovation sowie Aus- und Weiterbildung der Journalist_innen einen hohen Stellenwert haben. Hierfür werden klare und transparente Kriterien und Sanktionen definiert“. Allein: Bisher ist nichts dergleichen bekannt geworden.
Dabei wäre das sogar eine Riesenchance: Gerade die Sozialdemokratie könnte hier ein anderes Österreich aufzeigen. Zumal ein solches von der Bundesregierung eher nicht zu erwarten ist: Grüne haben sich von der ÖVP für einen mittelfristigen Rahmen für Regierungskampagnen in dreistelliger Millionenhöhe gewinnen lassen. Das war ihr medienpolitischer Sündenfall.
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