ANALYSE. Die Klubobfrau der Grünen rechtfertigt die Einstellung der Wiener Zeitung mit einer Zahl, die – noch dazu bekanntermaßen – falsch ist. Das zeigt, wie wenig ernst ihre Partei die ganze Sache nimmt.
5. Oktober 2022: Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) rechtfertigt die Einstellung der Wiener Zeitung in einem ZIB2-Intetrview damit, dass sie eine Leserzahl von 8000 habe. Zusatz: Man müsse die Fakten kennen. 14. Mai 2023: Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer erklärt in der ORF-Pressestunde: „Die Wiener Zeitung wurde von 8000 Leuten gelesen.“ Der Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer (ÖVP) greift die Aussage in einem Tweet auf und stellt – versehen mit den Stichworten „Alternative Facts“ und „Fake News“ – die rhetorische Frage, wie Ex-US-Präsident Donald Trump das Ende der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt nach 320 Jahren kommentieren würde. Möglicherweise auch so?
Vielleicht hätten die Grünen, wenn sie in dieser Angelegenheit bestimmend gewesen wären, die Wiener Zeitung nicht eingestellt. Sie sahen sich jedoch gezwungen, als Koalitionspartner der ÖVP dieser eine Mehrheit dafür zu verschaffen – und agierten bei alledem so, dass sie den Schaden für sich selbst vervielfachten.
Bei der ÖVP mag die Einstellung kaum jemanden enttäuschen. „Niemand“ wäre verfehlt: Kurt Fischer gehört der Partei an und protestiert – wenn auch in den eigenen Reihen ungehört – seit Monaten dagegen. Er zählt zu den letzten Bürgerlichen in der Partei. Bei den Grünen widerspricht die Einstellung zumindest demokratie- und kulturpolitischen Ansprüchen, die sie eher zu haben schienen.
Umso verhängnisvoller ist für sie, dass sie nicht nur eine Mehrheit dafür geschaffen haben auf parlamentarischer Ebene, sondern die Einstellung auch noch verteidigen; und zwar so, dass der Eindruck entsteht, dass sie sich nicht weiter damit auseinandergesetzt haben, ihnen diese Zeitung also egal ist; und dass sie nicht ernst nehmen, was hier passiert.
Beim Nationalratsbeschluss hat Mediensprecherin Eva Blimlinger im Plenum das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung bzw. die Weiterführung als Website mit weniger Top-Journalisten wie dem bisherigen Chefredakteur Walter Hämmerle als Neuanfang bezeichnet und mit der Befreiung Wiens vor 78 Jahren verglichen. Zurückgetreten ist sie nicht, hat sich hinterher aber entschuldigt für „eine falsche Analogie“. Nachsatz: „Selbstverständlich bin ich mir der Unvergleichbarkeit des Nationalsozialismus bewusst.“
Und jetzt eben Maurer: Ihre Aussage lässt den Schluss zu, sich nicht weiter beschäftigt zu haben mit der Wiener Zeitung. Sie hat etwas aufgeschnappt und verbreitet es nun weiter. Konkret: Bald nach Raabs Auftritt in der ZIB2 vor mehr als einem halben Jahr gab es Relativierungen und Klarstellungen. Gegenüber der „Presse“ ließ sich die Ministerin korrigieren. Gemeint habe sie die verkaufte Auflage. Diese liege im Schnitt zwischen 8000 und maximal 8500, davon seien rund 6000 Abos. Die Druckauflage ist deutlich höher. Wie der „Standard“ hier unter Berufung auf das Redaktionskomitee berichtete, beträgt sie unter der Woche 14.250 und am Wochenende knapp 39.000. Nun hat in der Regel zwar nicht jedes gedruckte Exemplar mindestens eine Leserin, einen Leser, jedes verkaufte aber mehr als eine bzw. einen. Sprich: Mann kann nicht behaupten, dass es nur 8000 Leser:innen gebe.
Die Zahl mag so oder so klein bleiben. Abgesehen davon, dass ihr Journalismus die Größe der Wiener Zeitung ausmacht und dieser sie in Verbindung mit ihrer Geschichte zudem zu einem Kulturgut gemacht hat, ist es eine unmissverständliche, böswillige Botschaft, wenn sie politisch motiviert immer wieder kleiner gemacht wird als sie ist.
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